Samstag, 18. Februar 2017

Landesgalerie Hannover Teil 1

In Hannovers Mitte findet man ein Meisterwerk des deutschen Historismus. Der Maschpark bildet zusammen mit dem imponierendem Neuen Rathaus und dem Landesmuseum ein beeindruckendes Schauspiel großartiger Städteplanung des frühen 20. Jahrhunderts.

Maschpark mit Rathaus - Gero Brandenburg. Lizenz: CC BY-SA 2.0
Mein kurzer Besuch der Landeshauptstadt beschränkte sich auf die im obersten Geschoss des Museums untergebrachten KunstWelten. Der Eintrittspreis ist mit 5 Euro ungewohnt niedrig. Sehr gut gefallen hat mir, dass es zu fast jedem Bild eine Informationstafel mit inhaltlicher Beschreibung gibt. Und die Genehmigung, eigene Bilder (aber nicht die der Sonderausstellungen) in einem Blog zu verwenden, ist sehr erfreulich.

Ein Rundgang durch die Etage(n) entspricht aufgrund meines Kunstgeschmacks einem fast immer gleichen Muster. Schnell (vor dem 15. Jahrhundert), langsamer (15-18. Jahrhundert), langsam (19. Jahrhundert), wieder schneller (ab 20. Jahrhundert).

Landesgalerie Hannover

So war es dann auch in Hannover. Trotz dieser Routine ist es aber immer wieder spannend, ein unbekanntes Museum zu besuchen. Man lernt neue Künstler kennen, lieb gewonnene sieht man freudig wieder, Vorurteile werden bestätigt und manchmal auch leicht revidiert.

15 - 18. Jahrhundert




1. Deutschsprachige Künstler

In der Sammlung sind aus diesem Zeitraum relativ viele Künstler der Region ausgestellt. Dies ist gut, da eine Galerie des Landes einen kleinen historischen Überblick über das Kunstschaffen vor Ort geben sollte und deshalb auch kleinere Lichter dem Publikum präsentieren darf. 

Lucas Cranach der Ältere (1472 - 1553)

Der ältere Cranach gehört natürlich nicht zu den kleinen Lichtern. Er ist einer der bedeutendsten Maler der frühen deutschen Renaissance. Seine Kompositionen sind der Zeit entsprechend oft arg gestellt und wirken unharmonisch, aber die detaillierte Malweise lädt auch heute noch zum Betrachten ein.

Seinen Freund Philipp Melanchthon verewigte er in mehreren Porträts. Typisch ist der einfarbige grüne Hintergrund, den der Altmeister gerne verwendete, zum Beispiel in seinem Scheurl-Porträt von 1509 oder dem Luther-Porträt aus dem Jahre 1521.

Lucas Cranach der Ältere - Bildnis des Philipp Melanchthon (1533)

Cranach war für seine Zeit bestimmt ein guter Maler, aber seine technischen Fähigkeiten waren begrenzt. Deshalb ist er ein begehrtes Ziel für Kunstfälscher, denn die Preise am Markt sind gut und eine Kopie möglich. So machte vor kurzer Zeit eine gefälschte Venus in den Medien die Runde. Ein Motiv, welches der Renaissance-Meister vielfach wiederholte. Das Cranach-Archiv verzeichnet sagenhafte 33 Ausführungen. Die nur mit einem durchsichtigen Schleier verhüllte Göttin sprach trotz ihrer heidnischen Herkunft bestimmt auch den sonst sehr christlichen Sammler an. Die Kuratoren der Landesgalerie konnten ihr in den 80er Jahren jedenfalls nicht widerstehen.

Lucas Cranach der Ältere - Venus mit Armor

Ludger tom Ring der Jüngere (1522 - 1584)

Ein paar Meter von den Cranachs entfernt hing ein weiteres kleines Bildnis mit dem typischen grünen Hintergrund, ähnlich dem Melanchthon-Porträt, aber etwas feiner gemalt. Jedoch war es zu meiner Überraschung nicht von Cranach, sondern einem Sprössling der mir bisher völlig unbekannten niedersächsischen Malerfamilie tom Ring. Von Ludger dem Jüngeren findet man Einiges im Netz, wobei das Hannover-Bild mit seinem lebendigen Ausdruck, in dem jedes Detail fein gemalt ist, bestimmt zu den besten Werken dieses Künstlers gehört.

Ludger tom Ring d. J. - Bildnis eines Mannes (1566)


Anna Rosina de Gasc (1713 - 1783)

Eine ältere, melancholisch wirkende Dame, blickt uns intensiv mit ihren dunklen Augen an. Es ist ein Selbstbildnis der damals 69-jährigen Anna Rosina de Gasc, geborene Lisiewska. Als Schülerin von Antoine Pesne und Hofmalerin in Zerbst und Braunschweig war sie zu ihrer Zeit sicherlich wohlbekannt, für mich jedoch ein unbeschriebenes Blatt. An fehlendem Können wird dies nicht liegen, da sie Körper und Stoffe auf diesem Bild bemerkenswert gut gemalt hat. Im Netz kursieren viele weniger gelungene Bilder von ihr, typisch für das höfische Rokoko. Das Selbstporträt der Landesgalerie ist aber sehr ansprechend und hat, zumal es von einer der wenigen erfolgreichen Künstlerinnen stammt, eine Abbildung verdient.

Anna Rosina de Gagc - Selbstbildnis (1782)

Anton Graff (1736 - 1813)

Das von Anton Graff gemalte Porträt des Leipziger Freiherrn Jacob Ferdinand Dufour Feronce ist, wie die Informationstafel schön darlegt, in einer Zeit des Umbruchs entstanden. Das Bürgertum wurde einflussreicher und selbstbewusster. Man definierte sich nicht nur über den finanziellen Erfolg, sondern sah auch Bildung als hohes Gut an. Deshalb wollte der hier abgebildete Großkaufmann und Bankier nicht seinen Reichtum präsentieren, sondern als wissender, tiefsinniger Mensch, von Büchern umgeben, den zukünftigen Generationen in Erinnerung bleiben. 

Anton Graff - Jacob Ferdinand Dufour Feronce (um 1787)
Sein direkter Blickkontakt zeigt einen entspannten, von sich überzeugten Menschen, der uns mit einem leichten Lächeln zu verstehen gibt, den Betrachter voll und ganz durchschaut zu haben.

Anton Graff - Jacob Ferdinand Dufour Feronce (um 1787) - Detail

2. Italienische Künstler 

Die Sammlung in Hannover bietet ein paar interessante Gemälde italienischer Maler des 15. und 16. Jahrhunderts. Keiner der ganz großen Namen ist vertreten, aber die zweite Reihe hat auch einiges zu bieten. 

Baldassare Estense (vor 1441/42 - 1504?)

Fasziniert war ich von dem großformatigen Doppel-Porträt des Herzogs von Ferrara und seiner fast zwanzig Jahre jüngeren Frau. Leider fehlt auf den Informationstafeln in Hannover die Größenangaben zu den Gemälden. Es war fast lebensgroß. Aber immerhin sind in diesem Fall wenigstens die Ausmaße der Dame passend beschrieben: "von beachtlicher Leibesfülle". In der heutigen Zeit würde bestimmt das Doppelkinn zurückgenommen und der mächtige Bauch per Bildbearbeitung verdünnt. Aber dieses Schönheitsideal hatte für das Stifterporträt, welches es vermutlich darstellt, keine Bedeutung.
Man kann mit Hilfe des Internets natürlich wunderbar recherchieren und so war ich gespannt, wie die Frau, Eleonora von Aragon, auf anderen Abbildungen dargestellt ist. Zu meiner Verwunderung war sie auf keinem auch annähernd so füllig gemalt. Vielleicht war sie zum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes mit einem ihrer sieben Kinder schwanger, das würde zum Entstehungsjahr um 1480 passen. Aber im Vergleich zu einer (evtl.) aus dem Hochzeitsjahr 1473 stammenden Münze sieht sie viel älter aus. Vielleicht sind die beiden Porträts dann doch erst Anfang der 90er Jahre, zum Ende ihres Lebens, entstanden.

Wie dem auch sei, beeindruckt hat mich die Dame jedenfalls. So habe ich fast vergessen zu erwähnen, wie fein die Gewänder gemalt sind und wie fremd mir der Künstler bisher war.

Baldassare Estense - Herzog von Ferrara und Eleonora von Aragon (um 1480)

Jacobo da Pontormo (1494 - 1557)

Ein weiteres sehr ungewöhnliches Gemälde ist das den ganzen Rahmen füllende Bildnis des heiligen Hieronymus. Diese verdrehte, unnatürliche Haltung ist eine beliebte Darstellung im 16. Jahrhundert und wird in der Fachsprache passend als Figura serpentinata, also schlangenförmig, beschrieben. Das Bild des Manierismus ist für die aktuellen Kuratoren eines der wichtigsten Gemälde, da sie mit einem riesigen Ausschnitt auf den Treppenstufen des Landesmuseums damit werben.

Jacopo da Pontormo - Der heilige Hieronymus als Büßer (um 1528/29)

Es soll laut Informationstafel auf einer Entwurfszeichnung aus den Uffizien basieren. Habe online leider keine wirklich passende Abbildung gefunden, vielleicht ist die hier verlinkte Skizze gemeint?

Angnolo Bronzino (1503 - 1572)

Aufgrund seines technischen Könnens ist Bronzino in meinen Augen der bedeutendste Maler des florentinischen Manierismus und übertrifft seinen Lehrer Pontormo. Hannover hat ein kleines aber feines Porträt eines schönen italienischen Jünglings in seinem Besitz. Der selbstbewusst, aber etwas verträumt blickende junge Mann, wirkt wie eine gemalte altertümliche Skulptur. Aufgrund seiner ovalen Form soll das Werk, im Gegensatz zu den häufigen Rundbildern (Tondo), fast einzigartig für das 16. Jahrhundert sein.

Angnolo Bronzino - Idealbildnis eines Jünglings (um 1545)


3. Flämische Künstler

Die Sammlung in Hannover  konzentriert sich bei den Flamen ganz auf die Antwerpener Schule, die bedeutendste des Landes. Deshalb findet man alle Großmeister wie Rubens, van Dyck oder Jordaens vertreten. Aber auch Künstler der zweiten Reihe wie Synders und Ryckaert haben das ein oder andere Bild beigesteuert.

Peter Paul Rubens (1577 - 1640)

Es gibt viele Künstler, die Porträts ihrer Familienmitglieder malen. Manche nur für den privaten Gebrauch, andere jedoch verwenden ihre Lieben auch für öffentliche Bilder. Rubens gehört eindeutig zur zweiten Gruppe, denn seine Frauen und Kinder sind immer wieder auf den Gemälden zu finden.
So standen denn auch, mit großer Wahrscheinlichkeit, auf dem kleinen Andachtsbild in Hannover seine Frau Isabelle Brant und ihr gemeinsamer Sohn Albert Modell.

Peter Paul Rubens - Madonna mit stehendem Kind

Dieser, unverkennbar für die Antwerpener Schule, mit roten Bäckchen und goldenem, lockigen Haar.

Peter Paul Rubens - Madonna mit stehendem Kind - Detail
Von weitem denkt man, die Madonna stützt ein kleines Mädchen, aber von Nah kann man doch das wichtige kleine Detail erkennen, welches ihn eindeutig als Junge identifiziert. Ich war neugierig, wie er denn als älteres Kind oder Erwachsener ausgesehen hat und siehe da, auch mit 13 Jahren wirkt er noch sehr androgyn, wie man auf dem Lichtensteiner Bild sehen kann. 

Anthonis van Dyck (1599 - 1651) 

Der große Porträtist des 17. Jahrhunderts, van Dyck, zeigte als junger Mann großes Talent und wurde deshalb schon mit Ende 18 zum freien Meister der Lukasgilde in Antwerpen ernannt. Erst mit diesem Diplom war es erlaubt, eine eigene Werkstatt zu führen. Das war natürlich keine Pflicht und so zog es der Künstler vor, in den nächsten Jahren weiterhin als wichtigster Assistent seines berühmten Landsmanns Rubens zu arbeiten. Die ausgestellten Werke van Dycks, zwei Studien und ein Bildnis, sind alle aus dieser Zeit. Das Bildnis wirkt mit dem rot blauen Hintergrund unharmonisch koloriert, technisch aber natürlich, wie man es nicht anders von dem Flamen kennt, hochwertig umgesetzt.

Anthonis van Dyck - Apostel Paulus (um 1618-2) / Herr von Santander (evtl.) (um 1618/20)  / Heiliger Georg (um 1619)

Jacob Jordaens (1593 - 1678)

Einer meiner Lieblingsmaler, Jordaens, ist auch im Landesmuseum vertreten mit einem für ihn typischen, großen Gemälde. Das Zentrum des Bildraums ist vollgepackt mit Heiligen, kräftigen blonden Kindern. Tiere dürfen auch nicht fehlen. Der landschaftliche Hintergrund und Himmel spielt nur eine untergeordnete Rolle und hat, wie auf vielen Jordaens-Gemälden, keine Bedeutung.
Der Flame malt die Haut seiner Figuren oft auf hervorstechende Weise. Sie ist nicht porzellanartig glatt wie bei vielen akademischen Malern, sondern eher so, also ob sie völlig verfroren gerade einem Eisbad entstiegen sind. Überall sind blaue Adern sichtbar und die Haut wirkt sehr scheckig. Dies kann man auf dem verlinkten Bild hier ganz gut erkennen.

Jacob Jordaens - Die heilige Familie (um 1618-20)

Frans Snyders (1579 - 1657)

In der Sammlung sind verschiedene konventionelle Stillleben ausgestellt, vor allem der Niederländer, zum Beispiel von Nicolaes von Gelder, Willem Claeszoon Heda oder Willem Kalf. Konventionell ist hier nicht abwertend gemeint. Sie sind alle technisch hochwertig, aber inhaltlich sind sie unauffällig, es gibt hunderte ähnliche Bilder aus dieser Zeit. Deshalb möchte ich hier nur auf das ungewöhnliche Stillleben beim Wildhändler des Frans Snyders eingehen. Zartbesaitete mögen nun die Augen schließen, denn es geht ans Eingemachte. 
Ein Reh nimmt die ganze Breite des Bildes ein. Aber es hüpft nicht lebendig und froh über die Waldlichtung, sondern ist tot und liegt ausgestreckt auf des Händlers Tisch. Dieser beginnt gerade sein Werk und weidet es aus. Oder, wie es in der Fachsprache heißt, schlägt das Wild aus der Decke. Dezent, nicht brutal, es ist kein Blut zu sehen, aber trotzdem deutlich sichtbar.
Witzig ist hingegen die kleine Kompositionsidee, dem neugierigen, hungrigen Jagdhund links unten die gleiche Haltung wie dem abgetrennten Wildschweinkopf auf der anderen Seite des Jägers zu geben.

Frans Synders - Stillleben beim Wildhaendler (um 1630-40)

4. Niederländische Künstler

Bei Erwähnung des goldenen Zeitalters der Niederlande denkt man automatisch an die Altmeister Rembrandt und Vermeer oder die unzähligen Genre-, Landschafts- oder Stilllebenmaler, die Teil dieser Hochblüte unserer westlichen Nachbarn waren. Mit Rembrandt wird zwar geworben, aber mir ist er völlig durch die Lappen gegangen. Deshalb vermute ich, dass es sich um eine unauffällige Studie handelt, die man schnell übersieht und eher für Marketing-Zwecke erworben wurde.
Von einem der großen Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts, Jacob von Rusidael, ist jedoch ein schönes Landschaftsbild in der Landesgalerie ausgestellt. Mein Foto von diesem Gemälde ist leider zu verwackelt, aber online ist es zum Beispiel hier zu finden.
Meine Favoriten jedoch sind die kleinen, feinen Porträts der Sammlung. Drei dieser Bildnisse möchte ich im Folgenden vorstellen.

Carel Fabritius (1622 - 1654)

Fabritius war zur falschen Zeit am falschen Ort. Am 12. Oktober 1654 zerstörte eine gewaltige Explosion die Delfter Innenstadt und riss hunderte Menschen in den Tod. Einer von ihnen war der talentierte, erst 32 Jahre alte Carel Fabritius, der in seinem Atelier ums Leben kann. Das Bildnis der Dame mit Federhut ist wohl eines seiner letzten Gemälde und hat seinen Platz über 300 Jahre später in dem Hannoverschen Landesmuseum gefunden. 

Carel Fabritius - Damenbildnis (1654)

Der Hut samt Feder ist schön gemalt, aber noch mehr hat mich der Ohrring mit der an einer Schleife befestigten Glasperle fasziniert, da ich solch ein Schmuckstück schon mal gesehen habe. Und zwar auf dem berühmten Gemälde Caravaggios, Judith enthauptet Holofernes, siehe zum Beispiel hier.

Carel Fabritius - Damenbildnis (1654) - Detail

Paulus Lesire (1611 - 1654)

Lesire ist einer der unzähligen von Rembrandt beeinflussten Zeitgenossen, deren Namen man heute leider nicht mehr wirklich kennt. Lesires Lehrmeister war Jacob Gerritsz. Cuyp, der Vater des bedeutenden niederländischen Landschaftsmalers Aelbert Jacobsz. Cuyp. Der Bildaufbau des älteren Cuyp ist oft unansehnlich, aber in den Einzelporträts blitzt sein großes technisches Können auf. Die Onlineseite des Dordrechtsmuseum verdeutlicht dies gut. Das Lesire sein Handwerk im Rahmen seiner Lehre perfektionieren konnte, wundert darum nicht. Dies zeigt auch das Bildnis der Landesgalerie eindrucksvoll, in dem vor allem der schwarze, glänzend polierte Harnisch alle Blicke auf sich zieht. Das lenkt natürlich von der Person selber ab und ist aus kompositorischer Sicht nicht ganz geschickt. Aber beeindruckend ist es jedenfalls gemalt.

Paulus Lesire - Brustbild eines braungelockten jungen Mannes (Anfang 1630er Jahre) - Wikipedia

Paulus Lesire - Brustbild eines braungelockten jungen Mannes (Anfang 1630er Jahre) - Detail


Wallerant Vaillant (1623 - 1677)

Es gibt so viele unbekannte Maler, deren Namen man nicht mehr kennt, die aber handwerklicher Meister großer Klasse waren. Wie zum Beispiel der Niederländer Vaillant, dessen kleines Selbstbildnis zu den absoluten Höhepunkten der Sammlung zählt. Das Porträt hat live eine enorme Anziehungskraft. Ich habe es minutenlang angeschaut und von den verschiedensten Positionen aus bewundert. 

Wallerant Vaillant - Selbstbildnis mit Helm (um 1655)

Die Augen lassen einen nicht mehr los, wohin man auch geht. 

Wallerant Vaillant - Selbstbildnis mit Helm (um 1655) - Detail

Der Ärmel ist fantastisch gemalt und zum Greifen nah. Vaillant hat jedoch nicht den Fehler Lesires gemacht, alle Aufmerksamkeit nur auf ein Detail zu lenken. Das Porträt ist wunderbar abgerundet und in meinen Augen eines der Schönsten, die ich je gesehen habe.

Wallerant Vaillant - Selbstbildnis mit Helm (um 1655) - Detail


Freitag, 13. Januar 2017

Gähnende Langeweile

Das Jahr ist zu Ende und die Top 10 der Verkäufe wurde wieder von der FAZ veröffentlicht. Es sieht leider auf dem Kunstmarkt aus wie immer. Die Kassenschlager 2016 sind fast durch die Bank weg einfallslose, dilettantische, hässliche Materialvergeudungen ohne jeden Kunstwert. Zeichnerische Brillanz, malerische Vollendung, Komposition, Detailfreude oder Erzählkunst sind nicht zu finden. Bei den Namen der Pseudokünstler, die aufgelistet sind, auch kein Wunder.

Hier die Plätze 10 bis 1:

10)
Francis Bacon, „Two Studies for a Self-Portrait“, 1970, Öl auf Leinwand, zweiteilig, je 35 mal 30 Zentimeter groß: Zuschlag bei 31 Millionen Dollar. Oh je! Da hat der liebe Herr Frühstücksspeck aber ordentlich eins auf die Nase bekommen. Leider wirkte sich dies auch auf seine Hand aus, verschmierte er seine simplen Studien doch glatt kurz vor Vollendung. Anspruchsvoll und kritisch wie wir sind, hätten die beiden Blätter bei uns sofort den Weg in den Mülleimer gefunden. Doch dem Briten plagten da weniger Skrupel. Zu seinem Glück, sonst wäre am Ende Platz 10 und 31 Millionen Schmerzensgeld nur ein Traum geblieben.

9)
Cy Twombly, „Untitled (New York City)“, 1968, Mischtechnik auf Leinwand, 154 mal 174 cm: Zuschlag bei 32,5 Millionen Dollar. Ein unnachahmliches Meisterwerk. Diese l's sind brillant geschwungen und jeder einzelne Buchstabe ist sein Geld wert. Bei geschätzten 25 l's pro Zeile und 6 Reihen macht das nach Adam Riese über 200000 Euro je Zeichen, eine lächerlich geringe Summe für solch große Kunst.

8)
Cui Ruzhuo, „The Grand Snowing Montains“, 2013, Tinte und Farbe auf Papier, 299 mal 873 Zentimeter: Zuschlag bei 33,5 Millionen Dollar. Ich habe den Namen Ruzhuo noch nie gehört, aber sehe direkt, dass er ein gerissener und selbstbewusster Mann ist. Da er kein besonderes zeichnerisches Können besitzt, aber gerne erfolgreich sein wollte, griff er auf den bekannten Trick zurück, potentielle Käufer durch Masse statt durch Klasse zu beeindrucken. Bei fast 9 Meter Breite ist ihm das vorbildlich gelungen.

7)
Edvard Munch, „Mädchen auf der Brücke“, 1902, Öl auf Leinwand, 101 mal 102 Zentimeter: Zuschlag bei 50 Millionen Dollar. Munch war ein Freund von Brücken. Im Gegensatz zum Schrei hat er es diesmal bunter gemalt und mehr Farbtuben verbraten. Die Käufer dankten ihm diesen unermüdlichen Einsatz, im Gegensatz zum Rekordverkauf von 2012, aber nicht. Einen dreistelligen Millionenbetrag konnte er 2016 leider nicht einstreichen. Vielleicht findet sich ja nächstes Jahr wieder ein blinder Investor, dem es Freude macht, Abermillionen für ein simples Gemälde auf VHS-Niveau zu verbrennen.

6)
Amedeo Modigliani, „Jeanne Hébuterne (au foulard)“, o. J., Öl auf Leinwand, 92 mal 54 Zentimeter: Zuschlag bei 50,4 Millionen Dollar. Modigliani konnte seine Fähigkeiten realistisch einschätzen. Er hatte kein Talent und auch kein Können. Deshalb wagte er sich nie an komplexere Darstellungen und lenkte seine Konzentration voll und ganz auf die manieristischen Porträts des dilettantischen Realismus, den er auch hier zelebrierte.

5)
Jean-Michel Basquiat, „Untitled“, 1982, Acryl auf Leinwand, 238 mal 500 Zentimeter: Zuschlag bei 51 Millionen Dollar. Ich habe Angst. Die Teufelsmaske ist ja so gruselig. Da vergesse ich fast zu erwähnen, wie lächerlich schlecht dieses gigantische Graffiti ist.

4)
Peter Paul Rubens, „Lot und seine Töchter“, um 1614, Öl auf Leinwand, 190 mal 225 Zentimeter: Zuschlag bei 51,8 Millionen Dollar. Welch Freude. Ein alter Meister hat sich hier verirrt. Nicht mit einem Hauptwerk, aber immerhin. Da nur alle Ewigkeiten ein größeres Werk eines Malers seines Kalibers auf den Markt kommt, hat es natürlich und zu Recht einen stolzen Preis erzielt.

3)
Pablo Picasso, „Femme assise“, 1909, Öl auf Leinwand, 81 mal 65 Zentimeter: Zuschlag bei 56,6 Millionen Dollar. Der Kubismus-Verehrer wird diese sitzende Frau als große Kunst bewundern. Mit nüchternem Blick sieht man jedoch nur ein langweiliges Fleckenmuster, in Windeseile hingeschustert, welches der clevere Spanier als Massenware herstellte, um damit den Markt und seine Geldbörse zu überschwemmen.

2)
Willem de Kooning, „Untitled XXV“, 1977, Öl auf Leinwand, 195 mal 223 Zentimeter groß: Zuschlag bei 59 Millionen Dollar. Wo de Kooning draufsteht, ist auch de Kooning drin. Farbschmierereien, die höchstens Mütter von zweijährigen Kindern stolz machen würden.

1)
Claude Monet, „Meule“, 1891, Öl auf Leinwand, 72 mal 92 Zentimeter: Zuschlag bei 72,5 Millionen Dollar. Der Sieger ist ein typischer Monet. Ein buntes Bild in Regenbogenfarben ohne Inhalt und Details, welches mit deiner Signatur bei eBay maximal 100 Euro Wert wäre. Meine Frau interessiert sowas aber überhaupt nicht und findet das Bild trotzdem schön. Warum auch nicht. Denn ästhetisches Empfinden ist rein subjektiv und hat keine Bedeutung dafür, ob etwas Kunst ist oder nicht.

Sonntag, 21. Februar 2016

Spurensuche

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Meine Schwiegeroma, Anfang des 19. Jahrhunderts geboren, war Mitte 70, als man bei ihr Krebs diagnostizierte. Ihr nahes Ende vor Augen legte sie fest, welche ihrer Bekannten zur Beerdigung eingeladen waren. Doch keiner der Eingeladenen kam. Denn meine Schwiegeroma wurde 96 und überlebte alle.

Ihr Schlafzimmer schmückte, typisch für diese Generation, ein großes, zur Hochzeit geschenktes Heiligenbild. Mir wurde dieses Bild vererbt, wahrscheinlich, weil ich der Einzige war, der es schätzte.

Madonna unter den Blüten

Ein Berg voller Fragen

Die Erforschung dieses Bildes war eine spannende Reise. Am Anfang standen Fragen und am Ende ein Gedicht. Ist es ein Original oder ein Farbdruck? Gibt es Vorbilder? Stimmt etwas nicht mit der Datierung? Wer ist der Künstler? Ist das Gemälde bekannt?

Echt oder nicht?

Das Bild ist schwer. Stolze 9,4 Kilo bringt es auf die Waage. Mit Rahmen 106 x 83 cm, ohne Rahmen 89 x 64,5 cm groß. Ich war überrascht von der hohen Qualität, wenn man das Alter, vermutlich 90 Jahre, in Betracht zieht. Erst von Nahem gesehen erkennt man eindeutig, dass es sich um einen Farbdruck (Fotolithografie!?) und kein echtes Werk handelt. Der rasante technische Fortschritt ermöglichte es erstmals auch weniger wohlhabenden Familien, ihre Wände mit solch riesigen, dem Original zum Verwechseln ähnlich sehenden Werken zu schmücken.

Madonna unter den Blüten - Detail Jesus

Aus der Zeit gefallen?

Die christliche Darstellung wirkt leise und besinnlich. Reduziert auf das Wesentliche. Maria und Jesus ruhen in ihrer von den menschlichen Wirrnissen abgeschirmten Welt. Der Betrachter kann den hektischen Alltag hinter sich lassen und behutsam in diesen abgeschlossenen göttlichen Garten (Hortus Conclusus) eintreten. Dieses Motiv war im 15. Jahrhundert, vor allem im deutschsprachigen Raum, sehr beliebt. Zwei der bekanntesten Gemälde zu diesem Thema stammen von Stefan Lochner und Martin Schongauer. Ihnen widmet sich eine eigene Wikipedia-Seite.

Stefan Lochner - Madonna im Rosenhag (um 1450) (51 x 40 cm)

Martin Schongauer - Madonna im Roshag (1473) (200 x 115 cm)

Ein direktes Vorbild für unseren Künstler war vielleicht das Eremitage-Bild Liebe, Glaube, Hoffnung des Heinrich Maria von Hess aus dem Jahre 1819. Dort sind alle Zutaten enthalten, welche wir auch in unserem Gemälde wiederfinden:
  • Ovaler Bildaufbau
  • Eng begrenzt von einer Mauer
  • Ein Baum in der Mitte des Bildes
  • Links einrahmend ein paar Pflanzen
  • Schmaler, niedriger Blick auf ein entferntes Gebirge. 
  • Lang hingestreckt sitzt eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Schoß im niedrigen Gras.

Heinrich Maria von Hess - Liebe, Glaube, Hoffnung (1819)

Maria unter den Blüten - Detail

Das Bild meiner Großoma ist somit meilenweit von den damals modernen Strömungen der christlichen Malerei entfernt, deren Ziel es war, die Heiligen in den menschlichen Alltag zu holen. Bekanntester Maler dieser Richtung war Eduard Gebhardt, dessen Verbindung zu Boris Becker ich vor einigen Jahren ans Tageslicht brachte. Nein, mit dieser Schule steht der Druck in keiner Verbindung. Es ist eher ein typisches Beispiel der Nazarener Malerei, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf ihrem Höhepunkt stand. Das Gemälde ist jedoch mit 1884 signiert. Zu diesem Zeitpunkt war der Rummel um die Nazarener wieder abgeflaut und fast alle bekannten Künstler dieser Bewegung seit Jahren verstorben.

Falsche Spur

Monogramm des Bildes
Wer aber war dieser rückwärtsgewandte Maler? Die Antwort schien mir offensichtlich zu sein. Die Signatur zeigte nämlich eindeutig ein verschachteltes E und S. Der Punkt darüber könnte vielleicht ein I sein oder ein Fehler in der Abbildung. Diese Feinheiten waren nicht mehr von Belang, denn ich hatte den Maler identifiziert. Meine Großoma kommt aus Arnsberg und Ende des 19. Jahrhunderts gab es nur einen bekannten Maler in dieser Stadt. Engelbert Seibertz. Seine Initialen sind E und S. Perfekt, das passt!
Ein wenig irritierte zwar, dass dieses Bild thematisch überhaupt nicht Seibertz anderen Werken ähnelt. Aber zum Glück hatte ich seine Monographie griffbereit und machte mich auf die Suche nach diesem Madonnen-Bild oder wenigstens dem Monogramm. Aber nichts. Er verwendet kein einziges Mal diese Signatur. Meine Nachfrage beim Sauerlandmuseum bestätigte dies. Man kennt dort weder das Monogramm noch das Gemälde. Mist, was nun?

Täter überführt

Madonna unter den Blüten - Detail
Vielleicht bringt mich meine Nazarener-Spur weiter. Ich schaue mir die Wikipedia-Liste der Maler dieser Schule an und finde einen Künstler, auf den das E, das S und sogar das I passt. Eduard von Steinle (1810 - 1886). Ein wenig im Internet recherchiert. Treffer. Das ist die Signatur von Steinle. Und das Gemälde ist auch nicht mehr weit. Der Zufall lenkt mich auf eine Seite der Internetdatenbank Lost Art.
Dort sind alle wichtigen Informationen über das als Verlust gemeldete Bild zu finden:
  • Besitzer: Nationalgalerie Berlin
  • Breite: 185,00 cm, Höhe: 135,00 cm
  • Öl auf Leinwand
  • 1887 Ankauf
  • 1945 im Flakturm Zoo verschollen
Es war also in der Tat ein bekanntes Gemälde, denn es hat Eingang in die Sammlung des bedeutendsten Museums der Kaiserzeit gefunden, der Nationalgalerie. Die Ausmaße überraschen, denn es ist im Original gut doppelt so groß wie der nicht gerade kleine Druck.

Im Katalog der Nationalgalerie von 1903 wurde das Gemälde beworben mit den Worten:
Madonna unter den Blüthen.

Maria, ganz in blaues Gewand gehüllt, sitzt im Gärtchen unter einem blühenden Baume. Die Arme über die Brust kreuzend betrachtet sie andächtig das in ihrem Schoß ausgestreckte Kind, welches der Mutter eine Blume reicht. Über niedriger Mauer, welche den Raum abschließt, wird fernes Gebirge sichtbar. (Oben abgerundet, die Ecken mit schwarzem Ornament auf goldenem Grunde gefüllt). Leinwand 135 x 185 cm. Angekauft 1887.

Drucker gefunden

Madonna unter den Blüten - Detail
Nun fand ich auch einen entscheidenden Hinweis auf den Hersteller dieses Farbdrucks. Die 1893 von Adolf Troitzsch gegründete Vereinigung der Kunstfreunde spezialisierte sich auf den Ankauf und die hochwertige Reproduktion von Gemälden. Wie Henry Roske in seinem Buch zur Berliner Kunst beschreibt, war diese Vereinigung ein professionelles Wirtschaftsunternehmen, strukturiert ähnlich einem Buchclub. Obwohl der Ankaufspreis der Originale oft lächerlich gering war, schien der Marketingeffekt für die Maler doch Anreiz genug zu sein, auf diesem Weg ihre Werke der breiten Masse bekannt zu machen. Neben diesen Käufen direkt von der Staffelei besaß die Vereinigung auch die Reproduktionsrechte vieler Gemälde der Berliner Nationalgalerie, so zum Madonnen-Bild des Eduard von Steinle.

Maler sagt aus

Steinle hat in seinem Leben viele Madonnen gemalt. Aber genau unser Gemälde sah er als dasjenige an, welches seine Auffassung der Gottesmutter am besten wiedergab.
Die Darstellung der sitzenden Madonna im Garten malte er schon Anfang der 60er Jahre (diese Version ist im Besitz der Museenlandschaft Hessen Kassel) und kam auf dieses Thema immer wieder zurück. Die vier noch heute bekannten Fassungen sind nachfolgend abgebildet.


1860

Eduard von Steinle - Die junge Muttergottes unter dem blühenden Apfelbaum (1860)

1866

Eduard von Steinle - Madonna im Gras (1866)

1878

Eduard von Steinle - Madonna an der Mauer (1878)

1884

Eduard von Steinle - Madonna unter den Blüten (1884)


Gedicht

Aber nicht nur Steinle selber gefiel sein Werk, auch Gustav Schüler widmete dem Gemälde ein Gedicht, welches in der Gartenlaube, Nr. 51 des Jahres 1924 veröffentlicht wurde:

Wie selig drängen die Blüten sich
Bis hin vor deine Füße,
Mit küssendem Atem umschmiegen sie dich,
Maria, du wundersüße.

Die Himmel tanzen vor singendem Licht,
Und die blauenden Berge prunken,
Alle Wonnen sind dir aufs Angesicht,
Maria, du Süße, gesunken.

Und das himmliche Kind beut dir Blumen dar,
Mit flimmerndem Schmelz übergüldet,
Engelswache hält unsichtbar
Das große Geheimnis umschildet.

Doch warum hast du so wundersam
Die Arme zum Kreuz geschlagen,
Als wollte ein ahnungsumschatteter Gram
Wehwunde Worte sagen?

Als säh sich der Stamm, mit Blüten beschneit,
Zum Holze des Fluches gezimmert,
Der heut das Kind der Herrlichkeit
Rosfarben überschimmert.

O selige Not! Wie biegen sich
Die Blüten bis dir vor die Füße
Und wiegen sich und umschmiegen dich,
Maria du wundersüße.


Montag, 8. Februar 2016

Der starke Buchser

Drei Säulen begrenzten die Welt meines Opas. Couch, Taubenschlag und Bank. Hier fühlte er sich wohl, hier war er glücklich. Andere Städte, Länder oder Kulturen interessierten ihn nicht. Von seinen mühsam verdienten Kohlen, er war Bergmann, noch etwas für Reisen abzuzweigen, kam ihm nie in den Sinn.

Aus ganz anderem Holz war da der Schweizer Maler Frank Buchser (1828-1890) geschnitzt. Als Sohn einer Bauernfamilie sollte ihn eigentlich die heimatliche Scholle anziehen, aber die Abenteuerlust trieb ihn immer wieder von zu Hause fort. Das Buchsermuseum in Bettlach bietet auf ihrer Internetseite eine detaillierte Aufzählung jeder einzelnen Station, fast 70 an der Zahl. Erstaunlich für das 19. Jahrhundert, als Reisen bei weitem nicht so bequem, sauber und gefahrlos wie in unserer Zeit war.

Die Informationen dieses Berichts habe ich dem wunderbar geschriebenen, mit Anekdoten und Zitaten vollgepackten Buch des Gottfried Wälchli, Frank Buchser 1828–1890. Leben und Werk, entnommen. 

Buchser war eine spannende Persönlichkeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sein Leben ist filmreif, verpasst hat er nichts.

Frank Buchser

Persönlichkeit

Buchser polarisierte. Er verachtete Autoritäten, aber duldete selber keinen Widerspruch. Kompromisse waren ihm stets zuwider, nicht immer zur Freunde seiner Mitstreiter, die einen gemäßigteren Weg gehen wollten.

Sein aufbrausendes Temperament brannte manches mal mit ihm durch. So beendete bezeichnenderweise ein Glaswurf an den Kopf eines Kontrahenten seine kurze politische Karriere.
Handgreifliche und blutige Vorfälle schildert Wälchli mehrere und so wundert es nicht, das Buchser-Stark sein Spitzname war. Ein Name, der seiner Eitelkeit schmeichelte und den er selber gerne verwendete.

Der Maler war gesellig und liebte den Wein und die Frauen. Er war sein Leben lang unverheiratet, aber kostete, wie es Wälchi im zurückhaltenden Ton sinngemäß formulierte, die weiblichen Früchte jedes Landes. An einer Stelle wurde der Autor erstaunlich explizit, als er einen Brief aus Marokko an des Künstlers Bruder zitiert. Buchser schwärmt hier von der traumhaften Auswahl der weiblichen Begleitungen und den unterschiedlichen Preisen, je nach ihrer Herkunft.

Frank Buchser - Nackte Sklavin mit Tamburin (1880)

Auch das Zechen war, typisch für das 19. Jahrhundert, oft in Vereinen organisiert. So gründete Buchser den von deutschsprachigen Künstlern gerne besuchten Goldklub in Rom, zum gemeinschaftlichen Besäufnis zu abendlichen Stunden, nach des Tages Werk. Ein schönes Loblieb auf den Goldklub und sein Oberhaupt sei hier zitiert:
Wo Buchser regiert, da ist gut wohnen,
drum kommen sie auch aus allen Zonen
zu trinken den Wein, den goldenen Wein
und sich des goldnen Humors zu freun:
Von Süd und Nord
und Ost und West.

Wer die Kneipe kennt,
der hält dran fest.

Drum lebe die Kneipe! Ein Vivat dem Buchser!
Zum Teufel die finsteren Federfuchser!

Er war ein Macher und Organisator, Verfasser von Petitionen, Vorreiter im Kampf für ein professionelleres Umfeld in der Schweiz.

Buchser war liberal und freiheitsliebend. Erzogen im streng katholischen Glauben seiner Mutter, warf er die Fesseln des Glaubens, wie er sie empfand, früh ab. Noch am Sterbebett hatte seine Magd den Auftrag, jeden Versuch einer letzten Salbung des sterbenden Künstlers zu unterbinden.

Reisen

Frank Buchser - Der Kuss (1878) (101 x 70 cm)
Die Schweiz war in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Drittweltland für die Kunst. Kein strukturiertes Ausbildungssystem, keine Akademien, keine ausreichende staatlichen Subventionen. Nichts. So war es nur natürlich, dass alle berühmten Maler wie Gleyre, Böcklin, Vautier oder Anker ihr Glück im Ausland suchten, vor allem in Frankreich und Deutschland.

Dies kam dem Forscherdrang Buchsers sehr entgegen. Er packte seine Koffer und machte sich auf nach Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Holland und England. Im Laufe dieser Jahre erwarb er eine solide künstlerische Ausbildung und erhaschte Eindrücke von der internationalen Kunst.

Sein erster Romaufenthalt war eine spannende Zeit. Er trat in die Schweizer Garde ein, um seine Studien zu finanzieren. Dies war jedoch nicht der erhoffte Zuckerschlecken, denn die Wächter des Papstes wurden von den Italienern verachtet. Der Job verlor deshalb schnell seine Attraktivität für den im vollen Saft stehenden Schweizer Jüngling. Für seine überbrodelnde Energie fand er aber bald ein passenderes Betätigungsfeld. Buchser schloss sich den Freiheitskämpfern Garibaldis an und focht manch Gefecht an ihrer Seite.

Frank Buchser - Kapuzinerschule (1864 - 1871) (63 x 100 cm)

Die Gier nach neuen Abenteuern zog den Schweizer in die noch nicht ausgetretenen Pfade des Tourismus. Der warme, bunte Süden faszinierte ihn sehr. In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts tauchte man in Spanien noch in eine Welt ein, die noch nicht eingeholt war vom Einheitsbrei der Moderne. Dies ändert sich jedoch bald. Schon in den 80er Jahren verdrängte die europäische Standard-Kleidung, wie Buchser in einem Brief wehmütig klagte, die bunten Volkstrachten aus dem Straßenbild.

Frank Buchser - Das Almosen (1860) (113 x 85 cm)

Von Andalusien war es nur ein Katzensprung nach Marokko. Er wollte dieses afrikanische Land als einer der ersten deutschsprachigen Maler für die Kunst entdecken. Ob Buchser Delacroixs frühere Reise auf ähnlicher Route kannte, ist mir nicht bekannt. Nach Marokko führte es ihn jedenfalls zum einen als Schlachtenmaler eines spanischen Expeditionsherres (Riffkrieg 1859-1860), zum anderen bereiste er das Land auf eigene Faust. Die Wege waren für Ausländer nicht immer gefahrlos, deshalb verkleidete sich Buchser als Geistlicher und heuerte einen einheimischen Begleiter an. So machte er sich auf den Weg ins Innere Marokkos. Sein südländisches Aussehen, mit dichten schwarzem Bart, half ihm, nicht als Fremder erkannt zu werden. Dieses Land und seine Kultur bewunderte er. Sein Leben lang war er von dem Glauben an die im Paradies wartenden Jungfrauen (Huris) fasziniert. Die auf dem Selbstbild abgebildete schwebende nackte Frau symbolisiert wahrscheinlich diese Fantasie.

Frank Buchser - Kritik (Selbstbildnis) (1888) (153 x 103 cm)

Bewegend ist seine Beschreibung eines Juden in Fez, dessen Gang durch die Gassen eine tägliche, mit aufrechter Würde ertragene Tortur war. Die Juden wurden von den Einheimischen verachtet, beschimpft, geschlagen und bespuckt. Diese Szene hielt er in einer kleinen Skizze fest.

Frank Buchser - Ein Jude in den Straßen von Fez (1858) ) (30 x 22 cm)

Buchser sprach aufgrund seiner langjährigen Auslandsaufenthalte fünf Sprachen perfekt. Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch und Spanisch. Seine privaten Schreiben sind deshalb das ein oder andere Mal ein heilloses Durcheinander verschiedener Sprachen, manchmal alle fünf gleichzeitig in einem Brief. Die Empfänger scheinen damit kein Problem gehabt zu haben und waren wohl ebenso sprachbegabt wie er.

Der weiter oben erwähnte Zwischenfall mit dem Glaswurf zog übrigens ein Gerichtsverfahren nach sich, welches zwar glimpflich ausging, aber seinem Ruf schadete. Zum Glück für den Maler bot sich gerade da die wunderbare Gelegenheit an, für einige Zeit von der Bildfläche zu verschwinden. Denn man kam in der Schweiz auf die glorreiche Idee, eine der kahlen Wände des neuen Bundeshauses mit einem Gemälde zur Verherrlichung des Sieges der freiheitlich, liberalen Nordstaaten im gerade erst beendeten Sezessionskrieg zu schmücken. Realisiert wurde diese schon zu Beginn von nationalen Kräften mit Kopfschütteln bedachte Idee nie, aber das wusste der mit höchsten Empfehlungsschreiben ausgestattete Buchser zum diesen Zeitpunkt natürlich noch nicht. In den USA wurde der Schweizer Staatskünstler freundlich empfangen und malte mehrere offizielle Porträts, sowohl des Präsidenten als auch von Führern der Nord- und Südstaaten.

Frank Buchser - Deutscher in Detroit (1868) (85 x 70 cm)

Buchser wurde das Privileg zuteil, den noch unberührten Wilden Westen kurz vor Erschließung durch die Eisenbahn im Tross des Generals Sherman zu bereisen. Eine schöne Anekdote beschreibt Wälchli. Der Maler sitzt in der freien Natur an seiner Staffelei und wird plötzlich von neugierigen Indianern umringt, die solch Zauberpinsel wohl noch nie sahen. Mit seinem Malstock weist er ihnen den richtigen Abstand zu, um in den vollen Genuss seines Werkes zu kommen.

Im letzten Jahrzehnt seines Lebens zog es den Schweizer Weltenbummler nach Griechenland. Eine Hassliebe, wie man seinen Äußerungen entnehmen kann. Die Griechen selber erachtete er in einem Brief als die verrohteste Sippe, die ihm je auf Reisen begegnet war. Diebstahl, Betrug und ein Überfall samt schwerer Verwundung scheinen diese Meinung geformt zu haben. Andererseits war er aber von den schönen Landschaften, wie in Korfu, verzückt.

Kunst 

Laut Buchsers eigenen Aussagen hatte er circa fünf Jahre an den verschiedensten Akademien studiert, eher er sein eigener Herr wurde. Positiv hervorgehoben hat er die Zeit beim belgischen Maler Gustave Wappers, ähnlich wie der ansonsten sehr kritische Anselm Feuerbach, der ebenfalls Anfang der 50er Jahre Schüler Wappers war.

Frank Buchser - Selbstportät (1852) (63 x 53 cm)

Wie schwer es in der damaligen Zeit für Schweizer Künstler in ihrer Heimat war, wird immer wieder von Buchser in seinen Briefen betont. Er selber sah sich als Prophet, der im eigenen Land nichts galt. Im Ausland konnte er gewisse finanzielle Erfolge und Ansehen gewinnen, vor allem mit seinen Porträts, aber in der Schweiz waren die Absatzmöglichkeiten doch sehr bescheiden. So bittet und bettelte er ihm nahestehende Schriftsteller und Journalisten immer wieder um wohlwollende Kritiken an. Doch sein Flehen wurden nicht immer erhört, auch wenn es sich, wie im Falle des berühmten Gottfried Keller, um einen guten Freund handelte. Die Ausstellung seiner Bilder zu jeder sich bietenden Gelegenheit war selbstverständlich, teilweise sogar in selbst organisierten Shows, die nur mit seinen Werken bestückt waren.

Frank Buchser - Porträt des Peter Bohren (1873) (75 x 63 cm)

Das Hauptanliegen Buchsers war eine Professionalisierung der Rahmenbedingungen in der Schweiz. Der damalige Zustand trieb viele große Maler ins Ausland, da es in heimatlichen Gefilden nichts zu verdienen gab. Sein Ziel war zum einen eine jährliche, kantonübergreifend koordinierte Ausstellung, entsprechend dem großen Pariser Salon. Zum anderen eine großzügigere finanzielle Förderung der Künstler durch den Schweizer Staat, samt Bau einer Akademie. Die offiziellen Gelder flossen zu dieser Zeit in der Tat spärlich. Im Tausender-Bereich, wohingegen Millionen in Frankreich vom Staat ausgegeben wurden. Diese Bestrebungen leitete er maßgeblich ein mit Gründung einer Interessenvertretung und offizieller Petition. Wälchli widmete den Kämpfen und Streitigkeiten um das richtige Vorgehen ein ganzes Kapitel. Auch wenn das Ergebnis nicht ganz den Wünschen Buchsers entsprach, kann man ihn ohne großen Widerspruch als einen der Väter des modernen Schweizer Kunstwesens anführen.

Buchser wurde als Realist betrachtet, weil sein Streben nicht der Darstellung höherer Ideale galt, sondern er Themen aus dem wirklichen Leben bevorzugte. Seine Lieblingsmotive waren Außenseiter der Gesellschaft. Bettler, Banditen, Straßenkinder, Schwarze. Die Kritik überspannte dementsprechend alle Facetten. 

Frank Buchser - Art Student (1878) (72 x 101 cm)

Vom Lob der auf eine menschliche Stufe emporgehobenen benachteiligten Personen, über Hinweise auf die Showeffekte der übertrieben verdreckten Kleidung, bis zu der für die damalige Zeit typischen, offen rassistischen Kritik, wie sie im folgenden zitiert sein soll:
... meinte selbst ein deutscher Kritiker, es sei "die unästhetische Negerwelt am wenigsten geeignet, dem darstellenden Künstler eine würdige Ausbeute zu liefern", sie schließe "die Schönheit völlig aus und biete noch weniger Objekte für die rein humane Auffassung und Repräsentation", ein Neger lasse sich "in der Kunst nur als Staffage oder in der Zusammenstellung und im Kontrast mit edleren Menschenerscheinungen verwerten".
FrankBuchser - As sweet as watermelons (ca. 1869) - Ol auf Leinwand (54,5 x 40 cm)

Wegen dieser Inhalte war seinen Bilder oft kein finanzieller Erfolg beschieden. Inhaltlich vielleicht akzeptiert, aber zu Hause an der Wand, nein, das war für die potentiellen Bildkäufer noch unvorstellbar.

Fazit 

Buchser war eine faszinierende Persönlichkeit und ein guter Maler. Seine Zeichnung war solide, aber nicht auf höchstem Niveau.

Frank Buchser - Im Indianerreservat bei St-Mary (1868) )30,3 x 58,1 cm

Die Kompositionen sind zu oft Stückwerk und es fehlt ihnen das harmonische Ganze. Man schaue sich nur sein großes Frühwerk Askese und Lebenslust an, bei dem die einzelnen Figurengruppen unnatürlich zusammengeschustert sind.



Frank Buchser - Askese und Lebenslust (1865) (102 x 153 cm)
Perspektive-Probleme sieht man öfter, zum Beispiel im Bild Der göttliche Schweinhirt, bei dem die Proportionen der einzelnen Figuren nicht zu ihrer räumlichen Gliederung passen.

Frank Buchser - Der göttliche Schweinehirt (1882) (64 x 110 cm)

Den Figuren fehlt meinem Geschmack nach häufig das Blut in den Adern, sie leben nicht. Nicht das sie schlecht wären, aber den Vergleich zu den Porträts der großen akademischen Maler können sie nicht standhalten. Das nachfolgend abgebildete Gemälde General Sutters ist eines der besten und bekanntesten Porträts Buchsers.

Frank Buchser - Johann August Sutter (1866)

Ich war zu Beginn jedoch überrascht, wie früh seine Palette leuchtete, noch vor dem Siegeszug des Impressionismus. Nach Abschluss des Buchs war das natürlich nicht mehr ganz so überraschend, wenn man in Betracht zieht, welch lange Zeit der Maler im sonnigen Süden verbrachte.

Frank Buchser - Malerin im Sonnenschein (1862) (34 x 25 cm)

Buchser selber sah übrigens Mary Blane (basierend auf einem damals bekannten Volkslied)

Frank Buchser - The Song of Mary Blane (1870) (103,5 x 154 cm)

und den Markt von Tanger als seine Hauptwerke an.

Frank Buchser - Markt von Tanger (1880) (64,5 x 112 cm)

Dem Marktreiben wurde zwar von Seiten der Kritik vorgeworfen, keine Benutzerführung zu bieten, weil die zentralen Blickfänge fehlen. In meinen Augen ist dies nicht wirklich von Belang. Die brütende Hitze und geschäftiges Treiben sind wunderbar festgehalten, so dass dieses Werk auch aus meiner Sicht das Magnum Opus des Malers ist.

Nachtrag

Habe gerade online einen Zeitungsbericht über die Eröffnung des Buchser-Museums gefunden. Beeindruckend ist das Engagement, die Begeisterung und der bewundernswerte private Einsatz des Herrn Leimer für einen der interessantesten deutschsprachigen Künstler aller Zeiten!