Samstag, 2. Februar 2013

Cesar Santos - Gegensätze ziehen sich an, Teil 2

Weiter gehts mit dem zweiten Maler der Gegensätze (er hat mir freundlicherweise erlaubt, seine Bilder zu verwenden), der diese Bezeichnung ausnahmsweise wirklich verdient hat.

Cesar Santos - Out of the Square (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Piet Mondrian

Räumliche Gegensätze

Ich finde die Idee schön, abstrakte und realistische Malerei zusammen in einem Raum auszustellen. Nicht für die ganze Sammlung des Museums, das wäre zu unstrukturiert. Aber in einem einzelnen Bereich die Gegensätze aufeinanderprallen zu lassen, wäre spannend zu beobachten.

Cesar Santos - En Plain Air Painting (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Pablo Picasso

"Das kann man doch nicht machen", sagt vielleicht mancher Vertreter der modernen Kunst. Das wäre ungerecht, hier Äpfel mit Birnen zu verglichen. "Warum nicht?" wäre meine Antwort, es soll sich doch in beiden Fällen um große, bedeutende Malerei handeln, da braucht doch niemand den Vergleich zu scheuen. Oder doch?

Angst nie gekannt

Jemand, der vor diesem Raum bestimmt keine Angst hätte, ist Cesar Santos. Tauchen wir für einen Moment in seine Gedankenwelt ein.

Cesar Santos - Babysitter (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Pablo Picasso

Wer bist du? Wie ist dein Leben verlaufen? Warum ist es so verlaufen? Wo waren die Wendepunkte? Wer hat dich beeinflusst? Welche Kräfte waren im Spiel?
Um diese Fragestellungen dreht er sich immer wieder und die Antwort darauf hat, wie wir sehen werden, auch seine Kunst maßgeblich beeinflusst.

Mehr Sein als Schein

Der Maler wurde Anfang der 80er in Kuba geboren und lebt heute in den USA. Wie sich sein Leben und seine Kunst entwickelte, beschreibt er ausführlich in einem Vortrag, der bei YouTube in 6 Teilen zu sehen ist (wer es gerne kurz und prägnant hat, hier ein anderes Video).

Cesar Santos - Dancing With Mr. Bacon (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Francis Bacon

Es tritt einem ein Mensch entgegen, der auf den ersten Blick typische Klischees eines Künstlers bedient (Zotteliger Bart, philosophische Aura, bestimmt in seiner eigenen Welt lebend), diese Bedenken jedoch schnell mit einem schelmischen Blick beiseite schiebt. Und siehe da. Man hat einen sehr sympathischen, mit beiden Beinen im Leben stehenden Maler vor sich, der seinen Werdegang Schritt für Schritt seziert.

Die Gegensätze, mit denen er konfrontiert wurde, werden hierbei schnell deutlich. Man sieht, dass er diese verschiedenen Strömungen nicht bekämpft, sondern versucht hat, zu vereinen. Syncretism ist das Schlagwort, mit dem er dies beschreibt. Hört sich hochtrabend an, aber hiermit ist etwas ganz einfaches gemeint: Die Kombination sich auf den ersten Blick ausschließender Aspekte. Und damit hat er in seinem Fall den Nagel wirklich auf den Kopf getroffen.

Cesar Santos - Mazazo de gracia (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Pablo Picasso

Was tun sprach Zeus

Schon in frühster Kindheit zeigte sich seine Leidenschaft fürs Zeichnen und Malen. Gefördert wurde er von seiner Mutter und einem Onkel, ein in Kuba sehr bekannter Maler abstrakter Gemälde. So wie er sollte Cesar malen und keine Zeit mit seinen so geliebten, naiv realistischen Versuchen verschwenden.

Cesar Santos - Farfalline della Notte (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: sein Onkel (Name?)

Dies hörte er immer wieder, es konnte ihn aber nie ganz überzeugen. Er wollte Dinge nicht nur andeuten, sondern sie in ihrem ganzen Glanz darstellen. Die technischen Fähigkeiten fehlten ihm noch, aber die Motivation blieb trotz Widerstände bestehen.  
Das alles interessierte seinen Vater aber wenig. Er hatte andere Pläne mit seinem Jungen. Cesar war zu weich und sollte Boxer werden, um den harten Realitäten des Alltags wie ein Mann entgegentreten zu können.

Was tun sprach Zeus, dachte der Kleine wohl manches Mal und ahnte selber nicht, dass er letztendlich allen Genüge tat und doch seinen eigenen Weg ging. Er wurde professioneller Künstler, malte wie sein Onkel manches Mal abstrakt (aber zum Glück, wie wir sehen werden, ist er kein abstrakter Maler) und stieg gelegentlich in den Boxring.

Cesar Santos - The Fixed and The Mobile (Ausschnitt) (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Kazimir Malevich

Wanderer zwischen den Welten

Damit er eine bessere Schulbildung genießen konnte, wanderte seine Familie in die USA aus. Zu Hause waren die Möglichkeiten für den kleinen Sprössling zu beschränkt. Die Aussichten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war einfach zu verlockend. So machten sich die Santos auf in den Norden.

Cesar Santos - Figure re-Kline-ing (Ausschnitt)
(Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Franz Kline
Hier kam er zum ersten Mal mit den Gemälden der großen Meister in Berührung und es reifte die Entscheidung, diesen nachzustreben. Seine Familie verkaufte ihr Haus, um Cesar eine Ausbildung in Europa zu ermöglichen. Die bekannte Angel Academy of Art durchlief er im Rekordtempo, besuchte das Repin-Institut in St-Petersburg, unterrichtete später u.a ein Jahr in Stockholm und zog am Ende seiner Reise wieder zurück in die Staaten nach New York. Die Wurzeln zu seiner Heimat Kuba hat er, wie man den Äußerungen entnehmen kann, während der ganzen Zeit nie verloren.

Stilfindung

Die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten hat er auf diesen Reisen perfektioniert, doch wie findet man seinen eigenen Stil, wie findet man sich selber? Da gibt es keine Hilfe von außen, das muss von innen kommen. Und Santos fand seinen Stil, den er so treffsicher mit Synkretismus beschreibt. Sein Leben war von Gegensätzen bestimmt
  • Kuba - <-> USA,
  • Kunst - <-> Boxen, 
  • Abstrakt -<-> Realistisch, 
warum soll er diese nicht auf seine Kunst übertragen.

Cesar Santos - Restorers (Ausschnitt)
(Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Pablo Picasso

Im wahren Leben hat er diese Gegensätze akzeptiert und gemeistert. Und so kam er auf die simple aber geniale Idee, abstrakte und realistische Malweise in einem Bild zu vereinen. Mit 'abstrakt' ist in diesem Zusammenhang nicht nur die abstrakte Malerei an sich gemeint, sondern alle Strömungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, welche das handwerkliche Können immer weniger schätzten und Skizzen in den Status fertiger Bilder hoben. Hierbei zitiert er Werke berühmter (natürlich aus meiner Sicht bei den meisten völlig unverdient) Maler wie Picasso, Malevich, Kline, van Gogh, Warhol, Mondrian, um sie in vielfältiger Weise in seine Bilderwelt zu verweben.

Vincent van Gogh - Sternennacht (1889)


Cesar Santos - Aftermath (Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Vincent van Gogh und Pablo Picasso

Unverkennbar

Er war nicht der Erste, der dies umsetzte (siehe z.B. Norman Rockwells Bild The Connisseur). Aber keiner war so konsequent wie Cesar Santos, der es zu seinem Markenzeichen erhob. Ein schlauer Schachzug, denn seine Bilder haben einen Wiedererkennungswert, wie ein Künstler ihn sich nur wünschen kann.

Happy End

Die Bilder sind unter anderem so beeindruckend, weil sie zeigen, dass ein Maler mit großen technischen Fähigkeiten alles malen kann. Das handwerkliche Können ist kein Fluch, sondern ein Segen. Und teilweise gewinnen auch die Originale ein wenig Charme. Van Goghs finde ich normalerweise als halbgare Skizzen viel zu langweilig.

Vincent van Gogh - Vincents Schlafzimmer in Arles (1889)

Aber eingebettet in ein 'richtiges' Bild, wie es Cesar Santos so brillant umsetzt, besänftigen sie sogar mein sonst so kritisches Auge.
Jedenfalls beim werten van Gogh... :-)

Cesar Santos - Juliet
(Copyright 2013 Cesar Santos)
Bezug: Vincent van Gogh

Gegensätze ziehen sich an, Teil 1

Sackgasse

Trau keinem, der die Kunst in einer Sackgasse stehen sieht. Nein, sie lebt und springt fröhlich hin und her. Fast wie in den guten alten Zeiten. Gerade hat sie eine kurze Pause eingelegt, um zwei ihrer Sprösslinge zu betrachten. Das ist unsere Chance, einen näheren Blick zu ergattern. Zoomen wir unauffällig etwas ran, wer diese Menschen wohl sind. Man sieht einen jüngeren US-Kubaner und einen im Zenit seiner Karriere stehenden Deutschen. Beide haben sich mit den großen Werken der Moderne auseinandergesetzt und sind dafür bekannt, scheinbar unversöhnliches nebeneinander zu stellen. Wie wir sehen werden, der eine etwas besser, der andere etwas schlechter.

Die Nummer 1

Fangen wir mit dem Zweiten an. Ich bin durch Zufall auf seine Internetseite gestoßen. Schaue mich kurz dort um und denke, naiv wie ich bin, einen 0815-Hobbymaler vor mir zu haben, der keinerlei technische Ausbildung genossen hat. Seine Figuren zeigen keine Stofflichkeit, ich finde keine Komposition, nichts, was nach Leben aussieht. Bemüht ist er bestimmt, aber den Bildern fehlt alles, was ich mit Kunst verbinde. Wenn man sehr großzügig urteilt, könnten aufgrund der kräftigen Farbgebung ein paar Werke in einem Kinderbuch verwendet werden. Der größte Teil der Ergüsse wäre jedoch, wenn er von dir stammen würde, völlig wertlos und würde niemanden interessieren.

Unscheinbar

Der Künstler selber wirkt, wie man dem Foto auf der Startseite entnehmen kann, nett und bescheiden. Ein lieber Großvater bestimmt. Erinnert mich irgendwie an einen Bekannten. Ich wünsche ihm viel Glück und klicke fast auf den nächsten Link. Doch halt. Was lese ich da? Nochmal zurück.

Bedeutend

Er ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler in Deutschland. Er hat die Figur wieder ins Zentrum des Bildes gerückt. "Neue Figuration" nennt man das wohl. Kann doch nicht ernst gemeint sein, oder doch? Warum so dick auftragen?

Geben wir ihm also eine zweite Chance und blättern sein Werksverzeichnis durch. Ich gebe mir die größte Mühe, finde aber leider nichts, was den hohen Ansprüchen gerecht wird. Gar nichts. Wenn er so bedeutend ist, dann wird doch wenigstens bei Wikipedia etwas über ihn zu finden sein. Und siehe da, wirklich. Unser Meister wird mit großem Artikel im feinsten Kunstblabla bejubelt.

Lassen wir uns mal ein paar Zitate auf der Zunge zergehen:
Bei näherer Betrachtung entfalten sich tiefgründige und komplexe Geschichten
die er ... mit phantasiereichen Titeln auf neue Bedeutungsebenen hebt
Die Erkundigungen des Künstlers bieten keine fertigen Lösungen
bewährten Patchwork-Methode, indem er scheinbar unversöhnliches nebeneinander stellt
Es gibt keine Vorgabe und keine bestimmte Lesart dieser Tafeln, der Betrachter ist auf sich selbst gestellt
bedeutende Werke ... die das Genre der Historienmalerei auf eine ganz neue Weise weiterentwickeln und befruchten

Rätsel

Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber mir schaudert es bei solchen Sätzen, wenn ich die Bilder (zum Beispiel hier oder seine große Weltgeschichte hier) mit dem Gesagten vergleiche. Wie jemand solches ernsten Sinnes glauben kann, wird für mich immer ein Rätsel bleiben.

Auch seine Auseinandersetzungen mit den Meistern der Moderne, Innenansichten wird das Ganze genannt, wirken sehr unbeholfen und künstlich aufgesetzt. Wo ist hier die Auseinandersetzung zu finden? Doch nicht, weil er ähnlich bescheiden und bunt malt wie seine Vorbilder, denn das unterscheidet ihn nicht von unendlich vielen Anderen. Und warum soll dieses Werk der Serie 5000 Euro wert sein und deine Malversuche keinen Cent? Der Markt, der Markt wird mancher rufen. Und recht hat er. Mit Qualität hat dies aber leider meist nicht viel zu tun.

Auflösung

Ich will nicht in Abrede stelle, dass der Herr ein wunderbarer Mensch mit großen Ambitionen und guten Taten ist. Seine Stiftung zur Unterstützung junger Künstlern finde ich wunderbar. Auch manche seiner bunten Comic-Skulpturen, wenn ich den Begriff verwenden darf, gefallen mir aus genau diesem Blickwinkel. Aber sie bieten meiner Meinung nach nichts, was nicht andere mit gleichem Eifer und Aufwand auch schaffen könnten. Deshalb ist der Anspruch völlig überzogen, und die Werke in meinen Augen keine Kunst.


Freitag, 4. März 2011

Das Glück der Klee-Blätter

Brillante Idee
Ich habe eine brillante Idee und werde sie mit dir teilen. Wir werden reich. Und so unglaublich es auch klingen mag, man muss nichts können. Gar nichts.
Es gibt nur eine Voraussetzung. Durchsuche bitte mal deine alten Unterlagen, ob du nicht eine Kunstmappe aus deiner Kindergartenzeit oder dem ersten Schuljahr findest.
Ja, gefunden? Wunderbar. Denn diese kleinen unschuldigen Blätter mit ihren kindlichen Strichen, Formen und Flecken werden dein Leben vollständig verändern.

Umsetzung
Wie, willst du wissen? Ich verrate es dir. Folge mir.

Als Erstes brauchst du einen weiteren Vornamen. Nämlich Paul. Ab heute nennst du dich Paul. Du bist eine Frau? Egal. Marie wird im Spanischen auch für Männernamen verwendet, also warum nicht Paul im deutschsprachigen Raum für Männlein und Weiblein. Eine Geschlechtsumwandlung ist nicht notwendig. Und wer von deinen Freunden mit deinem neuen Vornamen Probleme hat, besteht den Eichtest für wahre Freundschaft sowieso nicht.

Paul alleine reicht natürlich nicht. Neue Eltern müssen her. Und zwar welche, die Klee heißen. Adoptionen sind heutzutage kein Problem, also nehme das Telefonbuch zur Hand und mache dich auf die Suche nach deinem neuen Nachnamen. Sei freundlich und bereite die Anträge schon mal vor.

Erfolgsgarantie?
So, das war eigentlich alles. Bald wirst du reich sein. Wie, glaubst du mir noch nicht? Woher ich das alles weiß?

Vorbild
Weil ein Schlaumeier aus einem mir unerklärlichen Grunde meine Idee abgegriffen hat und sich als Paul Klee ausgibt. Er ist sogar so clever, seinen Geburtstag ins vorletzte Jahrhundert zu verlegen, um auf jeden Fall als Erfinder dieses genialen Schachzugs zu gelten. Der Schuft. Und nun überschwemmt dieser Paul Klee die großen Auktionshäuser mit seinen Kindergartenbildern und erzielt mit diesen Blättern Millionen-Dollar Preise.

Geld für alle
Aber das Gute für uns daran ist, es scheint weiterhin eine große Nachfrage zu bestehen. Also sammle deine malerischen Jungendsünden und schicke sie ein. Den Rest machen die Damen und Herren bei Sothebys und Christies. Diese kreativen Köpfe finden wunderbare Formulierungen für die kleinste Banalität und wandeln jedes Gekritzel in ein großes, absichtsvolles Meisterwerk um. Daneben sieht Rembrandt wie ein kleiner, dilettantisch, langweiliger Realist aus.

So wird's gemacht
Sind auf deinen Kindheitswerken die beliebten Strichmännchen mit dünnen Armen, Beinen, Körper und riesigem Kopf zu finden? Perfekt! Denn dann hattest du als Kind schon die weise Einsicht erlangt, dass Gedanken die Welt lenken, aber man trotzdem mit beiden, wenn auch manchmal wackeligen Beinen, im Leben stehen muss.

Noch mehr Quatsch gefällig? Kein Problem, es gibt genug ernst gemeinte Beispiele:

Beispiel 1
Gartenfigur, läppische 5 Millionen Dollar (5.137.162 $)

Paul Klee - Gartenfigur (1932) - Öl auf Leinwand (81,5 x 61,3 cm)

Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Allein der Namen regt poetische Stimmung an, versteckte Tiefen kommen zum Vorschein, die auf künstlerischen Theorien beruhen. Hier wird die Natur sowohl als visuelles Modell, als auch als strukturierendes Konzept dargestellt. Der Mensch und die Natur sind eins. Es ist eine autonome Struktur mit eigener Physiognomie dargestellt. Und zuletzt natürlich eine Einladung an den Betrachter, den Künstler auf seiner kreativen Reise zu folgen. Wow, ich will gar nicht erst dran denken, was noch alles für versteckte Wunderdinge in dem Meisterwerk lägen, wenn Klee es 'Gartenzwerg' statt 'Gartenfigur' genannt hätte....

Was sieht der naive Laie?
Wovon reden die? Links vor einer kleinen Tür steht eine etwas zu groß aufgeblasene Papiertüte mit einem geschlossenen und einem offenen Auge, schiefem Mund nebst kleinem schwarzem Pickel. Mehr nicht.

Beispiel 2
Pflanze und Fenster Stilleben, 5 Millionen Dollar (5.010.500 $)

Paul Klee - Pflanze und Fenster Stillleben (1927) - Öl auf Leinwand (47,6 x 58,4 cm)

Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Der Mond und die Sonne spielen tänzelnd miteinander und die glühenden Farben der Pflanze umspielen zärtlich das dunkle Fenster, wobei diese wunderbaren, verwirrenden geraden Linien die beiden Hauptgegenstände des Bildes verbinden. Das Fenster, natürlich rein architektonisch betrachtet, komplementiert geschickt in seinem dunklen Ton den neutralen olivfarbigen Hintergrund. Oder, wie schon ein schlauer Mann über den Künstler sagte: "Das Ferne war für ihn immer am nächsten".

Was sieht der naive Laie?
Der gute Paul ist meinem Ratschlag gefolgt und hat einen Strichmännchen-Kopf eingebaut. Der Körper ist zwar etwas zu dick für die reine Lehre, aber an sich bringt ein Strichmännchen schon mal locker 2 Millionen Dollar extra. Nur mit dem verhunzten Fenster wäre ich als Häuslebauer unzufrieden und würde den Architekten verklagen. Das die Sonne direkt im Zimmer scheint, gefällt mir hingegen gut. Das spart Heizkosten.

Beispiel 3
Der Künftige, 3 Millionen Dollar (3.330.500 $)

Paul Klee - Der Künftige (1933) Öl auf Leinwand (61,1 x 49,5 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Natürlich ist dies Klees Antwort auf die Pseudo-Utopischen Ideologien der 30er Jahre und eine Parodie auf den Übermenschen. Beeindruckend gemalte flammende Hose und zombieartiger Blick zeugen von seinem beißendem Humor und tiefgründiger Gesellschaftskritik an den Zuständen seiner Zeit und dem Abgrund, der kommen wird.

Was sieht der naive Laie?
Schön, aber das hat nichts mit Kunst zu tun. Du könntest der feinfühligste, tiefsinnigste, liebenswürdigste Mensch der Welt sein und möchtest deine Abscheu an den Fehlentwicklungen unserer Zeit (oder deine Freude über die Schönheit in der Welt) mittels Musik zum Ausdruck bringen. Aber wenn du deiner Geige nur ein paar schräge, krächzende Töne entlocken kannst, ist das vielleicht aller Hochachtung wert, aber keine Kunst. Gleiches gilt für Malerei. Und von diesem Urteil ist auch Klee nicht ausgenommen. Nüchtern betrachtet sieht man ein paar verschachtelte Formen, Augen, dicke Nase, Mund und frei schwebende Gliedmaßen. Mit kräftigem Rot wurde nicht gespart, um damit den Blick von den anderen Bildern im Kindergarten auf diesen roten Übermenschen zu lenken.

Beispiel 4
Sollte Steigen, Fast 3 Millionen Dollar (2.827.050 $)

Paul Klee - Sollte Steigen (1932) Öl auf Leinwand (59,5 x 86,6 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Klee hatte ein Konzept. Respekt, denn Konzepte sind immer gut für den Preis und treiben ihn enorm in die Höhe. Sein Konzept bei diesem Bild ist das Aufsteigen, welches er durch Ballon und Pfeil darstellte. Ein wahrer Geniestreich des Meisters. Die nach oben strebenden Elemente stehen im Kontrast zu den eher anarchisch, instabilen Kräften der drachenförmigen Gebilde. Diese werden durch Gravitationskräfte, natürlich symbolisiert durch die Erdfarben, hin und her geschleudert und sind immer in der Gefahr, von den Urgewalten zermalmt zu werden.

Was sieht der naive Laie?
Ein paar ungeschickte gemalte Rundungen und Vierecke. Damit es nach schwerer Arbeit aussieht, pedantisch gerade Striche samt tiefgründigem Pfeil und angedeuteten Luftballon. Eine Kritzelei, die jeder von uns schon mal aus Langweile während des Unterrichts in seiner Schulzeit aufs Papier geschmiert hat. Vielleicht in bescheidenerem Format, aber immerhin.


Beispiel 5
Junger Garten (Rhythmen), 3 Millionen Dollar (3.152.000 $)

Paul Klee - Junger Garten (Rhythmen) (1927) Öl auf Leinwand (65 x 51,7 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Hier ist, wie immer beim allmächtigen Klee, die große poetische Qualität des Werks offensichtlich. Diese Muster evozieren eine mystische, unbekannte Bildsprache, die den ägyptische Hieroglyphen ähnelt. Und nicht nur das. Das zeichnerische Meisterwerk in der oberen Mitte des Bildes, welches an einen Tannenbaum erinnert, nimmt uns an die Hand und führt uns direkt in die Natur hinein. Welch geniales, seitdem nie mehr erreichtes Meisterwerk, konnte man hier für lächerliche 3 Mille erworben.

Was sieht der naive Laie?
Die Linien eines Notenblatts sind mit großem Eifer eigenhändig gezeichnet. Darauf ein bisschen Käsekästchen gespielt und den Rest fleißig mit weiteren geometrischen Mustern gepflastert, so dass kein Zentimeter des Blattes ungenutzt blieb.


Beispiel 6
Freundlicher Ort, gute 1 Million Dollar (1.670.530 $)

Paul Klee -  Freundlicher Ort (1919) Gouache und Aquarell (19,2 x 23,5 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Dieses Bild verknüpft die beiden Hauptthemen, mit denen sich Klee zur damaligen Zeit beschäftigte. Garten und Architektur. Hierbei wird in hellen Farben ein harmonisches Nebeneinander von flachen, blockartig aufgebauten Quadraten erzeugt, welches sehr an seine früheren Darstellungen nordafrikanischer Architektur erinnert. Die rechteckigen Farbkleckse kennzeichnen Gebäude, während die länglichen Formen schlängelnde Pfade zwischen diesen darstellen. Umspielt ist das Ganze von grünen Pinselstrichen, welche ein Stück Natur in dieses fröhliche, verspielte Kunstwerk bringen.

Was sieht der naive Laie?
Mir fehlen die Worte. Er steht seinem Freund August Macke in nichts nach. Deren Tunesienreise von 1914 lässt heute noch jedes Kritikerherz höher schlagen. Was ich jedoch von diesen Orientaquarellen halte, kann man hier lesen. Das dort geschriebene passt hundertprozentig auch auf Klee und seine Bilder.


Abschluss
Also beeile dich, bevor das Glück der Klee-Blätter verbraucht ist!