Keine Basis

Unverrückbar
Jeder Mensch hat bestimmte Vorstellungen und Ansichten, an die er nicht mehr rütteln möchte. Zweifel waren früher, heute jedoch können die Anderen soviel reden wie sie wollen. Recht habe ich trotzdem. So oder ähnlich geht es jedem schon mal. Das ist natürlich keine wissenschaftliche Haltung, gehört aber zum Mensch-sein dazu. Alles immer und jeden Tag zu relativieren und überdenken, überspannt die knappe Zeit, die uns gegeben ist.

Kunst kommt von Können

Eine dieser Prämissen, die ich hege und pflege, ist die Ansicht, dass ein paar hingeworfene Striche oder Farbkleckse keine Kunst sind. Die angeblich wichtigen Gedanken des Malers sind meist reines Geschwätz, um von der dilettantischen Umsetzung abzulenken. Wenn ein ähnliches Werk von jedem Hobbymaler stammen könnte, dann ist es keine Kunst. Auch wenn der Maler theoretisch größere Fähigkeiten als die Masse der Amateure besitzt, zählt dies nicht für die Bewertung des konkreten Werks.

Fallbeispiel
Wobei wir beim Thema wären. Picasso. Er war aus künstlerischer Sicht ein etwas frühreifer, talentierter akademischer Maler, dessen erste Arbeiten den Werken unzähliger anderer Schüler der großen Akademien des 19. Jahrhunderts entsprachen. Nichts, wofür man in vergötterungswürdiger Anbetung verfallen sollte, aber auch nichts, um ihm sein Talent abzusprechen. Bekannt und als Genie gefeiert wurde er jedoch wegen seiner Fähigkeit, den neusten Trends seiner Zeit zu folgen und sie zu 'perfektionieren', wobei dieses Wort natürlich viel zu positiv ist. Denn vieles davon hat in meinen Augen nichts mit Kunst zu tun, weil ihnen alles dazu fehlt.

Genie, oder?
Darf man das wirklich so sehen, Picasso soll doch der Künstler schlechthin sein? Ich habe das den Fachleuten nie abgekauft. Aber vor kurzem bot sich die Gelegenheit, es doch nochmal genauer zu bedenken.

Überprüfung
Denn zeitgleich zu meinem Wien-Besuch fand in der Albertina eine Picasso-Ausstellung (Hinweis zum Link: dort waren früher viele Bilder der Ausstellung zu finden, jetzt nur noch drei) statt. Das war die Gelegenheit, dem angeblichen Kunstmessias des 20. Jahrhunderts über die Schulter zu schauen.
Picasso zieht die Massen an. Ich stehe bei klirrender Kälte vor dem Gebäude und komme, wie so viele andere, nicht rein. Überfüllt ist es an diesem Sonntag. Aber wir Harrenden wollen uns die Chance auf diese 'Meisterwerke' nicht entgehen lassen und warten und warten. Dann ist es soweit. Wir dürfen die heiligen Hallen betreten. Wie fast immer bei großen Ausstellung sind sie wunderbar eingerichtet und beleuchtet, und vorbereitet zum entspannten Kunstgenuss. Aufgrund der Zuschauermassen und dem hektischem Treiben kommt aber leider eher Bahnhofsstimmung auf. Aber was macht man nicht alles für die hohe Kunst...

Wo ist die Kunst?
Doch, wo war sie? Nichts, was Kunst ausmacht, war zu sehen. Ich schaue mir das erste Werk an, das zweite, das dritte. Nichts. Die Bilder werden bestimmt noch kommen, in die Gedanken und Arbeit eingeflossen sind. Entscheidungen wie geschickte Gesamtkomposition, Anzahl der Figuren, wo welcher Gegenstand platziert wird, schräg zu erblicken oder doch von vorne? Welche Haltung haben die Figuren, welche Gestik und Gesichtsausdruck? Welche Kleidung, welche Farbgebung und Beleuchtungsregie? Wie vermittle ich Stofflichkeit, Räumlichkeit und erzeuge Menschen aus Fleisch und Blut? Und so weiter und so fort.

30000 Mal keine Kunst
Doch nach meiner verzweifelten Suche musste ich feststellen: mit solchen Gedanken und Hindernissen bei der Umsetzung hat sich Picasso fast nie geplagt!
Die meisten der ausgestellten Werke wirken wie 5 Minuten Schnellschüsse auf 7. Klässler-Niveau. Davon hat Picasso wahrscheinlich 30000 ähnliche Werke im Jahr erzeugt. Austauschbar und ohne seine Unterschrift sind sie fast alle lächerlich. Wenn die Bilder deine Signatur hätten, würde niemand auch nur eine Minute in der Kälte dafür anstehen.

Helfende Hand?
Stopp! Ein letzter Anflug von Relativismus-Euphorie packte mich und ich schaute in die Gesichter der umstehenden Leute. Sehen sie etwas in den Bildern, was ich nicht sehe? Kennen sie den Weg zur Kunst und ich habe mich schon lange verlaufen? Fehlt mir die Vorstellungskraft, in den Bildern das Genie zu erblicken? Ich schaue mir die Dame links an, den Herrn dort, die Gruppe hinten. Aber nein, irgendwie wirken sie eher verzweifelt in ihrer Suche nach dem Genie in dieser Ausstellung. Manch einer wollte dies mit verschleierndem Geschwafel über die Bedeutung dieses und jenes Strichs vertuschen, aber so richtig gelang dies nicht.

Ende des Relativismus
Mir jedenfalls reichte es. Eines wusste ich genau. Es gibt keine Basis zwischen denjenigen, die in Picassos Werken große Kunst erkennen und mir. Warum sollte ich in einer Welt, in der wahre Kunst zum Greifen nah ist, mich mit solch nichts bietendem Müll aufhalten?

Wahre Männer
Raus aus dem Schuppen, rein ins Belvedere, um mich dort von der Welle älterer, kampfbereiter Männer, die aus Defreggers genialem Bild "Das letzte Aufgebot" marschieren, überwältigen zu lassen. Live wirkt es fantastisch, bei weitem besser als es das Vorschaubild des Belvedere vermuten lässt.

Franz von Defregger - Das letzte Aufgebot (1874)
Öl auf Leinwand (139 x 191 cm)

Kommentare

  1. Hab grad Ihren Blog entdeckt und freue mich schon darauf, darin herumzustöbern. Sie sprechen mir aus der Seele! Gruß aus Berlin, Maike

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  2. Hallo,
    was Sie hier schreiben spricht mir voll aus der Seele und ist nach meinem Kunstempfinden.
    Ich habe zur Zeit etliche Zeichnungen von Münchner- und Chiemsee-Maler und kann 2 Zeichnungen nicht entschlüsseln(trotz Signatur).
    Würde mich freuen wenn Sie sich melden!
    Freundliche Grüsse aus Denmark
    juersch

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  3. Vielen Dank für die freundlichen Kommentare!

    ----------------
    Hallo Herr juersch, sie kennen die Münchner- und Chiemsee Maler bestimmt besser als ich, aber schaden kann mein Blick ja nicht. Senden sie mir bitte nochmal einen Kommentar (den ich nicht veröffentlichen werden) mit ihrer Mail-Adresse, dann können wir weiter per Mail kommunizieren.

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  4. Nun, Sie scheinen in der Zeit stehen geblieben zu sein. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten, über den Begirff der Modernen Kunst jedoch nicht wirklich. Ich frage mich von welchem Stammtisch Sie ihr "Kunstverständnis" haben?
    Grüße

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  5. Nicht alles was neu ist, muss auch gut sein. Und was mein Stammtisch rät ist: Auge, Gefühl und Verstand mal ab und zu verwenden, dann glaubt man nicht jeden Unsinn, der einem aufgetischt wird!

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  6. Kunst kann man kritisieren und nicht jedes Dreieck ist auch für den Betrachter sichtbar; selbst dann nicht, wenn es sich als solches auf einer Leinwand zeigt!
    Soll heissen: Alle Bilder enthalten in der Regel Mitteilungen, welche der Betrachter lesen kann.

    Wenn man weiss, dass auch grosse Maler hinter ihrem Pseudonym
    Striche und Dreiecke malten, dann
    sollte man mit Kritik sparsam umgehen!

    Übrigens kommt der Begriff
    "Zeichnungen und Gemälde lesen"
    auch von Können!

    Dies ist aber auch nicht Jeder/m)
    gegeben.
    Dann ist es schon mal nicht schlecht, die Dinge nicht zu vermengen.

    Und auch von der Malerei sollte man Ahnung haben, um diese zu zerreissen"!

    Am Einfachsten wäre sicherlich, die
    Freiheit der Kunst und deren
    Interpretierung zu erhalten!

    P.S. Auch mir gefällt nicht jede
    "Dreiecksmalerei"!

    Die Seite "kunstkommtvonkönnen"
    besuche ich gelegentlich!

    Grüsse aus Bielefeld

    Ingo

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  7. Sie haben einen ungemein faszinierenden, etwas surrealen Traum. Sie können ihn selber gar nicht richtig fassen, wollen ihn aber unbedingt in den nächsten Tagen auf die Leinwand bringen. Ihr Werk wird tausende Interpretationsmöglichkeiten offen lassen, gesteigert noch dadurch, dass sie ein hochinteressanter Mensch mit einer besonderen Ausstrahlung sind, der man sich nicht ganz entziehen kann. Dies ist alles schön und gut, aber hat für mich keine Bedeutung, ob etwas als Kunst bezeichnet werden kann oder nicht. Malerei ist es natürlich, psychologisch bestimmt sehr spannend zu analysieren, aber deswegen aus meiner Sicht noch keine Kunst. Etwas mehr Bescheidenheit wäre angebracht. Wenn jeder, der zwei krumme Linien aufs Papier bringt, als Künstler betrachtet wird, dann hat der Begriff seinen Sinn völlig verloren!

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  8. "Die angeblich wichtigen Gedanken des Maler sind meist reines Geschwätz,..."
    Das gilt übrigens auch für die Musik. Was ich zum Beispiel so täglich im Kultur-Radio höre, ...ich muss oft lachen.
    Disclosure: Bin seit 40 Jahren selbst im Musikbusiness tätig.

    -kdm

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  9. @ Anonym Sylvia S. hat gesagt...
    "Nun, Sie scheinen in der Zeit stehen geblieben zu sein. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten,"
    .
    Schon mal gemerkt? Dass sich "über Geschmack streiten läßt" sagen immer die, die keinen haben.

    -kdm

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  10. Ich habe vor kurzem mein Diplom an einer Universität für angewandte Kunst für Bildende Kunst/Malerei gemacht. Während dieser Zeit konnte ich eine Menge an Kunsttheorien und Praxis lernen. Dieser Blog trifft meiner Meinung nach den Nerv der Sache. Die Kunstwerke dienen nur noch dazu auf den theoretischen Teil zu verweisen und sind oftmals ohne diese sehr verloren. Das Konzept dahinter ist jedoch bei näherem betrachten mehr als fragwürdig. Aber Die Rettung ist ja da durch Galeriesten und Kunstkritiker (letztere übrigens auch durchaus auch mal käuflich) die es schaffen durch intellektuellen Nonsens das banalste gekritzel zu einem Meisterwerk zu erheben.

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  11. erkan:Schön ist die Situation für die Studenten wahrlich nicht, wenn sie nach solch einem Studium ihren beruflichen Weg finden müssen. Viel Gluck kann man dabei auf jeden Fall gebrauchen. Ich drücke ihnen die Daumen!

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  12. @erkan:
    Auch in der "Modernen Musik", also in der sogenannten "ernsten", "seriösen", ist es ja oft so, dass die Erklärungen zu einer Komposition länger sind als das Stück selbt. Zum Glück ist aber was Essentielles anders als in der bildenenden Kunst: "Moderne Musik" hat kein Publikum.
    ----
    Habe gerade meine Zitatensammlung etwas aufgeräumt. Und dabei dies gefunden, leider nur bei einem weiß ich die Quelle:

    "Ich bin jetzt so weit, dass ich es laut sage: Moderne Kunst ist Blödsinn. ..." (der Maler Johannes Grützke, an seinem 70. Geburtstag am 29 Sept 2007)
    - - -
    "...dass es Menschen gibt, die noch ahnen, was Kunst ist. Eines Tages werden sie den Schwindel durchschauen."
    - - -
    "Ich mache Kunst!" ... "Und wer macht sie wieder weg?"
    - - -

    -kdm

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  13. Ich bin bei der Suche nach Paul Klees Werken auf ihren Blog gestossen und hab halb aus Interesse halb aus Belustigung diesen gelesen.
    Witzig empfand ich ihre Kommentare zu den einzelnen Bildern.
    Leider wurde aber dadurch auch Bewusst, das die meisten Kunstwerke als Kunst beschrieben werden, durch die Namen der Künstler und nicht durch ihr Können.
    Aber dies ist nicht der einzige Grund, warum diese Kunstwerke als Kunst gelten!
    Ein weitere wichtige Kriterie ist es den Zeitgeist der jeweiligen Epoche darzustellen durch neue Techniken der Malerei.
    Ich schätze Klee und anderen Künstlern der Abstraktion/Moderne ist einfach nichts besseres eingefallen, weil es das meiste einfach schon gab!

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  14. Der Link zu dem "kleinen Vorschaubild" geht leider nicht:

    "....das kleine Vorschaubild des Belvedere vermuten lässt)"

    -kdm

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  15. Vielen Dank für den Hinweis! Habe das Bild nun direkt eingebunden. Es ist für mich eines der eindrucksvollsten Bilder, die ich je im Original gesehen habe. Im kleinen Format wirkt es eher unscheinbar. Aber wenn man im leicht abgedunkelten Raum vor diesem Gemälde steht, scheinen die vorderen Figuren aus dem Bild zu marschieren, um ihrer vielleicht letzten Tat entgegen zu gehen. Als Betrachter geht man fast leicht zur Seite :-)

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  16. Der Begriff "Kunst" kommt nicht von "können", weder semantisch noch etymologisch. Ihre Behauptung ist also nichts anderes als das unüberprüfte Wiederkäuen eines immer wieder gehörten hirnlosen Geblubberes.

    Der Begriff "Kunst" hängt zusammen mit "künstlich", artifiziell, von Menschenhand geschaffen. Insofern hat Beuys recht mit der Aussage: "Jeder ist ein Künstler". In dem Moment, in dem eine Menschenhand irgendetwas erschafft, das nicht in der Natur "von alleine", "natürlich" vorkommt, ist es Kunst. Per Definition. Da ändert auch das wiederholen irgendeines dummen Blödsinns der von vielen wiederholt wird nichts dran.

    Das Kriterium "Das kann ja jeder!" ist ein dummes weil Scheinargument. Natürlich kann jeder (theoretisch) alles erlernen. Also gibt es überhaupt keine Kunst. Und das, was niemand kann, was aber Computer können, wäre dann alleinig Kunst? Sie sehen, dass sie ziemlich dumm und absolut oberflächlich argumentieren. Und dass Sie sich im Widerspruch zu so gut wie allen wirklichen Experten empfinden Sie wahrscheinlich als Alleinstellungsmerkmal. Mehr haben Sie nicht zu bieten? Erbärmlicher Wicht.

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  17. Dann machen sie doch dem erbärmlichen Wicht eine kleine Freunde und ändern den Abschnitt Etymologie und Wortgebrauch des Wikipedia-Artikels. Die Welt soll die Wahrheit erfahren und sie finden ihre Ruhe.

    Dort steht noch das hirnlose Geblubber: "Ursprünglich ist kunst ein Substantivabstraktum zum Verbum können mit der Bedeutung „das, was man beherrscht; Kenntnis, Wissen, Meisterschaft“. Die Redewendung „Kunst kommt von Können“ ist also etymologisch (dem Wortursprung nach) richtig."

    Damit es nicht zuviel Mühe macht, hier der Link zur Bearbeitungsseite: https://de.wikipedia.org/wiki/Kunst?veaction=edit&section=1#Etymologie_und_Wortgebrauch.

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