Genie vs. Unbekannt (Teil 1)

Die Geschichte der Malerei des 19. Jahrhunderts wird in den Medien oft verfälscht dargestellt. Der übliche Ablauf lautet:
 
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es den klassizistischen Maler David, dann folgten Ingres und Delacroix, und dann scheint es viele Jahre niemanden Erwähnenswerten gegeben zu haben, bis endlich die Impressionisten, vorbereitet durch Courbet, das Licht der Welt erblickten und die Malerei Richtung Kubismus, Expressionismus und Co. führten. Dass jedoch in der Zeitspanne von 1840 bis zum Ersten Weltkrieg die größten Maler aller Zeiten lebten und arbeiteten, wird verschwiegen. Verständlich, da ein Vergleich dieser großen Meister mit den dilettantischen Resultaten von Cézanne, Picasso, Klee, Mondrian und Konsorten deren fehlendes Können offenlegen würde.

Deshalb bereitet es mir eine Freude, Bilder der großen Genies mit denen der unwürdigen akademischen Maler des 19. Jahrhunderts zu vergleichen.

Eines der Kunst-Standardgeschichtswerke für Dummies ist die "Geschichte der Malerei" von Wendy Beckett. In ihr wird die Kunstgeschichte, wie nicht anders zu erwarten, beschrieben, wie oben skizziert. Die Bilder bis zum 19. Jahrhundert sind auf hohem Niveau. Dann jedoch, zum Ende des 19. Jahrhunderts und hinein ins 20. Jahrhundert, werden die Bilder immer dilettantischer, kindischer, schlechter. Können, das bei den Künstlern anderer Jahrhunderte so hoch gelobt und besungen wird, scheint ab diesem Zeitpunkt für die liebe Nonne, Frau Beckett, keine Bedeutung mehr zu haben. Austauschbare Bilder von ungeschickter Hand, deren Wert einem neutral blickenden Menschen völlig unerklärlich sind, werden als große Werke gepriesen. Groß natürlich nur, weil sie die Unterschrift von X, Y oder Z tragen. Von Frau Mustermann gemalt, würde es niemanden interessieren.

Paul Cézanne vs. Oswald Achenbach

Einer der großen Vorreiter des dilettantischen Realismus und 'Wegbereiter der Moderne' ist der gute alte Paul Cézanne (1839-1906). Verlacht von seinen Zeitgenossen, sind heute die Buchhandlungen mit seinen Büchern überfrachtet. Als eines seiner großen Meisterwerke hat Frau Beckett das Bild Le Chateau Noir (1900-1904) gewählt. In unverständlichen Worten und typischem Kunstblabla preist sie das Bild:
Licht... als Vibration tief im Inneren eines jeden Bildgegenstands,
Jede Form hat wirklich Substanz...,
...daß ein Gemälde sowohl kompositorisch überzeugend als auch formal unabhängig sein sollte.

Vergleichen möchte ich es mit einem ähnlichen Gemälde des in Vergessenheit geratenen akademischen Malers Oswald Achenbach Oswald Achenbach (1827 - 1905), Villa d'Este in Tivoli(1892).
Oswald Achenbach ist der jüngere Bruder des damals weltberühmten Andreas Achenbach, der gleichzeitig sein erster Lehrer war. Oswald verbrachte mehrere Jahre in Italien und wurde später Professor in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Berühmt war er vor allem wegen seiner lebendigen Bilder des italienischen Lebens. Nicht immer im Detail vollendet, aber so wirkend. Er erhielt Ehrenprofessuren und Goldmedaillen in mehreren Ländern sowie die Mitgliedschaft in der französischen Ehrenlegion.

Frage:

Vom Bildaufbau sind beide Bilder ähnlich gestaltet. Eine relativ dunkle Stimmung, Bäume und Vegetation, man blickt von links auf ein Schloss bzw. eine Villa und im rechten Bildteil ist ein bläulicher Himmel zu sehen. Ich möchte jedoch, um die nicht wirklich vorhandene Spannung aufrechtzuhalten, erst am Ende erwähnen, welches Bild von dem genialen, weltberühmten Cézanne ist und welches von dem nicht erwähnenswerten Achenbach.

Vegetation:


Der erste Maler hat sich mit seinem angedeuteten Baum, farblich ganz ansprechend, auf den einfachen Weg gemacht. Alles sehr flach und grob gemalt, wohl seinem Können entsprechend.


Auf dem anderen Bild sind in detaillierter Form und mit viel Geschick die verschiedensten Gräser dargestellt. Ich habe schon eine Vermutung, wer das nicht beachtenswerte Häuflein Elend ist und wer das Genie. Mal weiter schauen.

Himmel:


Blau ist er ja, aber das waren die Himmel auf meinen Kinderbildern auch. Im Vordergrund ein paar angedeutete Äste. Eher zittrig gemalt, keine Atmosphäre. Das schaffst auch du locker.


Dagegen hier ein lebendiger Sonnenuntergang in den verschiedensten Farbabstufungen. Unten sieht man noch die letzten hellen Strahlen der Sonne, welche die Bäume umspielen. Oben schon das glühende Abendrot. In dieser Welt würde man gerne bei eintretender Dunkelheit den Himmel beobachten, in der ersten Welt wohl an der blauen, vom Himmel kommenden Farbe ersaufen.

Gebäude:


Die Fassade des Gebäudes ist erkennbar, aber allzu viel Mühe hat sich der Maler nicht gemacht. Eher eine Attrappe. Ein Schnellschuss halt.


Im Gegensatz dazu die im wechselnden Abendlicht leuchtenden, festen Mauern der schönen italienischen Villa. Fenster sind nicht nur als unbeholfener Strich, sondern plastisch zu erkennen. Ein Gebäude, welches, im Gegensatz zu dem Krickel-Krackel-Schloss des anderen Bildes, nicht beim ersten Wind davongetragen wird.

Gesamtwirkung:

Das Wichtigste an einem Bild ist jedoch seine Gesamtwirkung, und da wird das große Genie in seiner vollen Größe erstrahlen. Oder etwa nicht?

Cezanne: Le Chateau Noir (1900-1904)
Öl auf Leinwand (74 x 97 cm)

Mein ungeschultes Auge sieht nur ein einfach gemaltes Bild in kräftigen Farben. Tausendfach in den Kursen der Volkshochschule nachmalbar. Ohne Signatur hätte das Bild null Wert. Es kann doch nicht etwa zu den Meisterwerken der Menschheitsgeschichte zählen, so blind kann doch niemand sein, oder doch?

O. Achenbach: Villa d'Este in Tivoli (1892)
Öl auf Leinwand (119,5 x 150 cm)

Das andere Bild ist ein wirklich stimmungsvoller Blick auf eine südliche Landschaft. Es gibt Details zu entdecken und macht Freude auf einen Urlaub in südlichen Gefilden.

Auflösung:

Das Musterbeispiel dilettantischen Realismus, das blaue Bild, ist, wie nicht schwer zu erraten war, von Cézanne. Das Meisterwerk ist von Achenbach. Mir ist und bleibt es ein Rätsel, wie jemand dies, so wie die wehrte Nonne Frau Beckett, anders sehen kann.

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