Anton von Werner (Teil 1)

Anton von Werner, wer?

Wer soll das denn sein? „Kenne ich nicht.“ Diese Antwort würde man wohl von den meisten Deutschen hören. Und was man nicht kennt, ist, wie das Sprichwort sagt, nichts. Dass dieser Mann jedoch einer der bedeutendsten deutschen Maler aller Zeiten und eine der prägenden Persönlichkeiten des deutschen Kunstlebens im 19. Jahrhundert war, ist vielen unbekannt. Dürer hat man vielleicht schon gehört. Dann gibt es noch Beuys, oder wie der heißt. Dieser Immendorff war auch öfter in den Schlagzeilen – der muss wohl auch jemand sein. Aber sonst? Nennenswerte Künstler aus dem deutschsprachigen Raum? Die würde man ja kennen ... oder?

Bekanntes Gemälde


Anton von Werner: Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches (1885)
Öl auf Leinwand - 167 x 202 cm

Auch wenn man den Namen Anton von Werner noch nie gehört hat, könnte sein bekanntestes Werk dennoch vertraut sein: Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches. Es zeigt die Krönung Kaiser Wilhelms I. in Versailles – der Moment, der als inoffizielle Geburtsstunde der deutschen Nation gilt.

Das Gemälde lädt zu einer Zeitreise ins Jahr 1871 ein. Es ist so meisterhaft gemalt, dass es dem heutigen Betrachter fast wie eine Fotografie erscheint. Die dargestellten Personen wirken trotz der ernsten Atmosphäre lebendig: Ihre Helme und Säbel glänzen im Licht des Saals, die kunstvoll drapierten Falten des Teppichs rahmen das Podest ein, der Marmor der Wände erinnert an die Perfektion eines Alma-Tadema, und die Porträts der bärtigen Männergesellschaft sind von beeindruckender Lebensnähe.

Wie die eigentliche Zeremonie damals genau aussah, weiß niemand. Es gibt keine Fotografien von der Proklamation selbst, lediglich ein paar Gruppenaufnahmen davor oder danach. Von Werner nutzte künstlerische Gestaltungsmittel, um ein Werk von höchster Meisterschaft zu schaffen – eines, das die historische Szene lebendig werden lässt und dabei sowohl ihn als Künstler als auch seine Auftraggeber zufriedenstellt.

Selbst wenn man der Monarchie jener Tage nur mit einem müden Lächeln begegnen mag, sollte man seinen Blick durch Vorurteile nicht trüben lassen. Vielmehr gilt es, die Augen für das Werk eines genialen Malers zu öffnen, den ich im Folgenden näher vorstellen möchte: Anton von Werner.


Autobiographie


Foto: Anton von Werner in seinem Atelier (1866)

Wer war dieser Maler, der mit den Großen seiner Zeit verkehrte und auch bei den Kleinbürgern bekannt war? Seine frühen Jahre bis 1870 beschreibt er in seiner Autobiographie Jugenderinnerungen. Überraschenderweise – ich hatte zuvor die eher trockenen Kunstansichten von Johann Gottfried Schadow gelesen – sind sie leicht und flüssig zu lesen.

Hier begegnet einem ein Mensch mit einer für seine Position ungewöhnlichen, leicht ironischen Art. Einer, der sich aus einfachen Verhältnissen dank seines Talents und seiner fesselnden Persönlichkeit bis ganz nach oben arbeitete. Seine Abneigung gegenüber den „neuartigen, katastrophalen Kunstströmungen“ seiner Zeit macht ihn dabei umso sympathischer.

Kindheit (1843 - 1857)

Anton von Werner wurde 1843 in Frankfurt an der Oder geboren, in eine adlige, jedoch zu dieser Zeit nicht mehr wohlhabende Familie. Er genoss eine ruhige und schöne Kindheit, doch die strenge Hand seines Vaters war stets präsent. Dieser verdiente sein Brot nicht mehr wie seine angesehenen Vorfahren als Offizier, sondern als fleißiger, einfacher Handwerker. Besonders eindrücklich schildert von Werner seinen Vater:
Mein Vater hatte keinerlei Veranlassung, dem Schicksal gerade Dank- und Lobeshymnen für das Los zu singen, das es für ihn gezogen hatte, aber er hatte sich damit abgefunden und war mit Puff und Knuff in harter Arbeit durchs Leben gekommen. Seine Gemütsart war dadurch freilich nicht sonderlich nach der zarten und weichmütigen Seite hin entwickelt, also daß meine Erziehung auch nicht gerade auf eine weiche Molltonart abgestimmt war, sondern ich befand mich häufig einem bedenklichen väterlichen capricio furioso in Dur gegebenüber, aus dem mich nur das Eingreifen meiner engelsgleichen Mutter zuweilen errettete.
In der Schule war Anton ein guter Schüler, und besonders das Zeichnen bereitete ihm – wenig überraschend – große Freude.

Ausbildung (1857 bis 1859)

Mit 14 Jahren, im Jahr 1857, endete seine Schulzeit, und sein Vater schickte ihn in eine Handwerkslehre. Er sollte Stubenmaler werden – zuständig für Ornamente und Bilder in Innenräumen. An seinem ersten Ausbildungsplatz wurde er als billige Arbeitskraft schamlos ausgebeutet. Erst ein Wechsel des Arbeitgebers ermöglichte ihm eine fundierte Ausbildung, die das Fundament für seinen späteren Erfolg legte.

Eine handwerkliche Ausbildung war damals, wie heute, kein leichter Weg. Von Werner wurde zu Beginn von älteren Kollegen gehänselt, unter anderem wegen seines adligen Namens. Doch diese Erfahrungen stärkten ihn. Die Arbeit selbst empfand er

als etwas Hohes und Heiliges

Dennoch wusste er auch den bissigen Humor seiner Mitgesellen zu schätzen, die meinten:
"Wer die Arbeet erfunden hat, der verdiente heute noch gehenkt zu werden!" Oder "Arbeet macht det Leben scheene - sauer!" Oder "Na, heute könnte der Tag ooch mit dem Feierabend anfangen"
Kunstakademie Berlin (1860-1862)

1859 schloss Anton von Werner seine Lehre ab und war fest entschlossen, Kunstmaler zu werden. Dank einer Empfehlung seines Oberbürgermeisters Piper konnte er ab 1860 an der Kunstakademie in Berlin studieren. Rückblickend betrachtete er diese Zeit jedoch als wenig produktiv. Vieles, was dort gelehrt wurde, hatte er sich bereits selbst angeeignet.

Er beschrieb den Unterricht bei Professor Herbig mit einem Augenzwinkern:
Als ein Schüler ihn fragte:"Malt man die Lichter (beim Kopfmalen) eigentlich kalt und die Schatten warm?", antwortete Herbig mit salomonischer Weisheit:"Ja, sehn Sie, det is so'ne Sache, der Eene machts so und der Andere umgekehrt, und et jeht ooch."
Besonders absurd war ein Wettbewerb in der Kompositionsklasse, der abrupt endete, als die Frau des Kastellans die Atelierräume im Dachgeschoss zum Wäscheaufhängen nutzte.

Kunstakademie Karlsruhe (1862-1866)

Enttäuscht von der Berliner Akademie, wechselte von Werner 1862 nach Karlsruhe. Dort fand er, auf Empfehlung von Professor Adolph Schroedter, an der Kunstschule ein neues Zuhause. Mit Schroedter entwickelte sich schnell eine Freundschaft, ebenso mit dem damals berühmten Direktor Carl Friedrich Lessing. Nach eigenem Bekunden hat er allein in ihren Gesprächen mehr über die Kunst gelernt als in allen praktischen Vorlesungen zusammen.
Das kleine, übersichtliche Karlsruhe kam seinem Naturell sehr entgegen. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre, in der viel diskutiert, musiziert, aufgeführt und politisiert wurde. Neben Persönlichkeiten aus dem kulturellen und politischen Leben der Badener Gesellschaft lernte er in diesen Jahren damals schon bekannte oder später bekannt gewordene Maler wie Feodor Dietz, Ludwig Knaus, Moritz von Schwind, Ferdinand Keller, Hans Thoma, Arthur von Ramberg oder Emanuel Leutze kennen. 


Anton von Werner: Gemäldeentwurf zum 30ten Geburtstag Osterroths (1866)
Bleistift

Zeitweise war sein Kalender wegen der Proben für die zahlreichen Geburtstagsfeiern seiner vielen Bekannten so überfüllt, dass er kaum Zeit fand, seine eigenen Bilder wie geplant weiterzuentwickeln.

Reisen
In all den Jahren reiste er häufig durch die Länder des Deutschen Bundes und besuchte dabei Städte wie Leipzig, Weimar, Dresden, München, Stuttgart, Worms und Köln. Ein kurzer Besuch im Jahr 1865 in Paris, seiner ersten Auslandsstation, hinterließ bei ihm jedoch keinen bleibenden Eindruck. Von Werner war von der großen Stadt enttäuscht. Abgesehen von Notre-Dame und dem Louvre hatte er nicht viel Positives zu berichten. Von den Malern beeindruckten ihn scheinbar nur Meissonier und Delacroix, da er nur sie erwähnt.

Anekdoten
Besonders schön zu lesen sind die kleinen Anekdoten aus dieser Zeit, die seine Gelassenheit und humorvolle, unkomplizierte Art widerspiegeln. Eine handelt von der Reise zum Weimarer Künstlerfest 1863, bei der er aufgrund eines außerplanmäßigen Aufenthalts in Frankfurt übernachten musste. Gemeinsam mit einem älteren, ihm bis dahin unbekannten Mann machte er sich auf die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit in der ziemlich überfüllten Stadt.
Wir fanden endlich in einer Bierwirtschaft ein Zimmer mit zwei Betten im Dachgeschoß, dessen Tür aber kein Schloß hatte, während das Fenster nicht zu schließen war, weil man eine mächtige schwarz-rot-goldene Fahne hinausgesteckt hatte; außerdem krachte in der Nacht noch mein Bett zusammen, und ich fiel hinaus. Es war recht gemütlich und ich dachte: diese Vergnügungsreise fängt gut an.
Eine andere schöne Geschichte ist die Beschreibung des Dichters Dr. Wilhelm Jordan, der den Tick hatte, zu jeder Zeit und immer wieder sein Nibelungenepos Siegfrieds Tod vorzutragen:
...als ich eines Nachmittags bei Scheffel war und Herr Dr. Wilhelm Jordan gemeldet wurde. Scheffel machte ein bedenkliches Gesicht und meinte: "Er wird doch nicht?"... aber schon war er in der Tür; mit rotseidener, flattender Krawatte, aber ohne Manuskript - wir atmeten auf, aber zu früh. Denn verbindlich lächelnden Antlitzes erklärte er - während Scheffels immer länger wurde -, daß er jetzt nicht mehr lese sondern rhapsodiere und uns nun Siegfrieds Tod als Rhapsode vortragen würde. Scheffels dringender Hinweis auf einige Flaschen echten Nürnberger Biers, die er im Keller habe und deren Inangriffnahme für die herrschende Temperatur und die gerade dafür passende Tageszeit besonders empfehlenswert erschiene, bliebt zunächst wirkungslos. Scheffel ergab sich wohl oder übel schließlich dem Verhängnis und ließ, neben Jordan auf dem Sofa sitzend, mit halbgeschlossenen Augen Angstvoll Siegfrieds Tod über sich ergehen.
Politische Spannungen
Das angenehme, familiäre Klima in Karlsruhe erkaltete ab dem Jahre 1865. Grund waren die nicht zu übersehenden Spannungen im Deutschen Bund zwischen den kleindeutsch-preußischen Anhängern und der meist großdeutschen Österreich-Fraktion, der auch Baden angehörte. Dies führte 1866 zu einer offenen Feindschaft zwischen den anwesenden fremdländischen Künstlern (also der großen Nichtbadener-Künstlerkolonie, zu der der Preuße Anton von Werner genauso gehörte wie Lessing oder Schroedter) und den Badenern, angeführt durch den Wiener Hans Canon.
..., und Direktor C.F. Lessing lud alle seine Freunde ein, wenn es zum schlimmsten kommen, sich mit ihm in seiner Amtswohnung zu verbarrikadieren, wo er Schießzeug und Munition in Hülle und Fülle habe...
Mit dem Ausbruch des Krieges 1866 spitzte sich die Lage zu, aber zum Glück eskalierte die Situation nicht, da der Krieg schnell beendet wurde.

Erfolge
Mit seiner Kunst erzielte er 1866 seine ersten großen Erfolge.


Anton von Werner: Kompositionsskizze zum Michael-Beer Stipendium : Josephs Wiedersehen mit seinem Vater in Ägypten (1866)
Bleistift laviert


So gewann er an der Berliner Akademie das Stipendium der Michael-Beer-Stiftung, verbunden mit einem einjährigen Aufenthalt in Italien, den er 1868 antrat. Zur Vorbereitung dieser Reise nahm er Italienisch-Unterricht, welches neben Französisch seine zweite Fremdsprache wurde.


Anton von Werner:
Luther vor Cajetan (1865)
Öl auf Leinwand - lebensgroße Halbfiguren

Auf der großen Akademieausstellung 1866 in Berlin wurde sein Bild Luther vor Cajetan preisgekrönt.

Es lief also nicht schlecht für den 23-jährigen Maler, und im folgenden Jahr, 1867, folgte der erste Ritterschlag, da eines seiner Bilder bei der Weltausstellung in Paris akzeptiert wurde. Davon später mehr...

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