Sonntag, 23. November 2008

Dilettantischer Realismus und Kunstblabla

Zwei Begriffe möchte ich kurz erläutern, die ich öfter verwende:

Dilettantischer Realismus und Kunstblabla. Beide sind angelehnt an Schlagwörter des Internet Kunstkritikerspapsts Mani Deli, welcher unter anderem die Begriffe No-Skill Realism und Artspeak geprägt hat.

Dilettantischer Realismus

No-Skill Realism ließ sich zwar genauer mit Nichtskönner Realismus übersetzen, aber da mir der Beigeschmack in Verbindung mit wenig Können, den Dilettantismus heutzutage besitzt, so gut gefällt, verwende ich dieses Wort. Also dilettantisch nicht in dem ursprünglichen Sinn einer Person, die, obwohl es nicht ihr eigentlicher Beruf ist, beispielsweise zeichnet oder malt (und dies ohne negative Qualitätsbeurteilung), sondern in dem Sinne, dass jemand künstlerisch tätig wird, ohne es zu können. Auch wenn die Kunst sein Beruf sein sollte oder er sie lehrt, so wie es heutzutage ja die Regel fast ohne Ausnahme in Deutschland ist.
Mit Realismus ist in diesem Zusammenhang weniger die Darstellung des 'echten Leben' gemeint (etwa im Sinne der Realismusdebatte des 19. Jahrhundert), sondern 'gegenständliche' Malerei.

Kunstblabla

Kunstblabla wird, wie ich eben mittels der Suchmaschine erfahren habe, öfter verwendet. Kunstblabla ist hohles Geschwafel, um Inkompetenz zu kaschieren und salonfähig zu machen. Eine wunderbare Beschreibung stammt von Mani Deli, welche hier zu finden ist.

Hildebrandt: Model mit Bart schadet dem Professor



Ferdinand Theodor Hildebrandt, Die Ermordung der Söhne Eduards, 1835 

Eng aneinander geschmiegt, einer in den Armen des anderen liegend, schlafen die beiden Kinder den Schlaf der Gerechten. Neben ihnen liegt ein Gebetsbuch und ein Rosenkranz, der scheinbar, kurz bevor die Augen zufielen, von ihnen noch benutzt wurde. Jedoch sind diese beiden unschuldigen Knaben nicht alleine. Zwei finster drein blickende Männer sind zu dieser späten Stunde in ihre Kammer eingedrungen. Einer der beiden hat den Vorhang bei Seite geschoben, der andere mit einem kräftigen Griff die Decke entfernt. Das Bild zeigt den Augenblick, wo die beiden Erwachsenen innehalten, und die schlafenden Kinder betrachten. Was jetzt geschieht, lässt sich erahnen, da eine Hand des linken Mannes fest einen Dolch umklammert. Beschrieben ist hier eine Szene aus Shakespeares Tragödie, Richard III. Richard hatte die Königskrone an sich gerissen, obwohl die beiden, als Kinder des früheren Königs Eduard IV, die eigentlich erbberechtigten Könige sind und Eduard der 5te es für kurze Zeit schon war. Aus Angst vor zukünftigen Rachetaten wurden die beiden Kinder in den Tower gesperrt und später ermordet. Was wirklich in dem Tower mit ihnen geschah, konnte von den Historiker nicht eindeutig geklärt werden. Diese schaurige Szene wurde von mehreren großen Malern in Szene gesetzt. Die wohl bekannteste Fassung ist die 4 Jahre frühere Version von Paul Delaroche. Was hat dies alle mit Lehrern, Modeln und ungeliebten Bärten zu tun? Ich lese gerade in dem Buch 'Kunstwerke und Kunstansichten' von Johann Gottfried Schadow [teilweise mühsam zu lesen, aber für einen Kunstgeschichte interessierten Leser geeignet, vor allem aufgrund der sehr ausführlichen Kommentare. Habe mir auf jeden Fall vorgenommen, es ganz zu lesen. Mal sehen, ob ich es schaffe :-)] Dort erwähnt er eine Begebenheit zur Berliner Akademieaustellung 1834. König Friedrich Wilhelm IV besucht die Ausstellung in Begleitung J.G. Schadows. Eines der Bilder ist ein Porträt des Malers Jakob Becker gemalt von Schadows Sohn Wilhelm. Becker ist mit einem für die damalige Zeit neumodischen (und politisch inkorrekten) Bart abgebildet. Zum Kauf angepriesen, wurde es vom König mit dem nicht ganz praktikablen Kommentar abgelehnt:
"Erst den Bart abscheren"
Das waren noch Zeiten... Aber ich vermute, die Ehre des Künstlers war am Ende doch stärker als der Wille des Königs. Vielleicht hatte sich Becker diesen Bart nur wachsen lassen, weil er wohl für einen der beiden Mörder (der Rechte, siehe Radierung) in Hildebrands Gemälde Model stand. Und nun vermasselt dieser Bart seinen Lehrer, Wilhelm von Schadow, den Verkauf an den König. Und die Moral von der Geschicht, model mit Bart nicht.

PS: Es wäre wohl etwas weit gegriffen, zu behaupten, die Ursache dafür, dass Model heutzutage (2008) fast nie Bart tragen, hätte mit dieser Begebenheit zu tun.