Freitag, 4. März 2011

Das Glück der Klee-Blätter

Brillante Idee
Ich habe eine brillante Idee und werde sie mit dir teilen. Wir werden reich. Und so unglaublich es auch klingen mag, man muss nichts können. Gar nichts.
Es gibt nur eine Voraussetzung. Durchsuche bitte mal deine alten Unterlagen, ob du nicht eine Kunstmappe aus deiner Kindergartenzeit oder dem ersten Schuljahr findest.
Ja, gefunden? Wunderbar. Denn diese kleinen unschuldigen Blätter mit ihren kindlichen Strichen, Formen und Flecken werden dein Leben vollständig verändern.

Umsetzung
Wie, willst du wissen? Ich verrate es dir. Folge mir.

Als Erstes brauchst du einen weiteren Vornamen. Nämlich Paul. Ab heute nennst du dich Paul. Du bist eine Frau? Egal. Marie wird im Spanischen auch für Männernamen verwendet, also warum nicht Paul im deutschsprachigen Raum für Männlein und Weiblein. Eine Geschlechtsumwandlung ist nicht notwendig. Und wer von deinen Freunden mit deinem neuen Vornamen Probleme hat, besteht den Eichtest für wahre Freundschaft sowieso nicht.

Paul alleine reicht natürlich nicht. Neue Eltern müssen her. Und zwar welche, die Klee heißen. Adoptionen sind heutzutage kein Problem, also nehme das Telefonbuch zur Hand und mache dich auf die Suche nach deinem neuen Nachnamen. Sei freundlich und bereite die Anträge schon mal vor.

Erfolgsgarantie?
So, das war eigentlich alles. Bald wirst du reich sein. Wie, glaubst du mir noch nicht? Woher ich das alles weiß?

Vorbild
Weil ein Schlaumeier aus einem mir unerklärlichen Grunde meine Idee abgegriffen hat und sich als Paul Klee ausgibt. Er ist sogar so clever, seinen Geburtstag ins vorletzte Jahrhundert zu verlegen, um auf jeden Fall als Erfinder dieses genialen Schachzugs zu gelten. Der Schuft. Und nun überschwemmt dieser Paul Klee die großen Auktionshäuser mit seinen Kindergartenbildern und erzielt mit diesen Blättern Millionen-Dollar Preise.

Geld für alle
Aber das Gute für uns daran ist, es scheint weiterhin eine große Nachfrage zu bestehen. Also sammle deine malerischen Jungendsünden und schicke sie ein. Den Rest machen die Damen und Herren bei Sothebys und Christies. Diese kreativen Köpfe finden wunderbare Formulierungen für die kleinste Banalität und wandeln jedes Gekritzel in ein großes, absichtsvolles Meisterwerk um. Daneben sieht Rembrandt wie ein kleiner, dilettantisch, langweiliger Realist aus.

So wird's gemacht
Sind auf deinen Kindheitswerken die beliebten Strichmännchen mit dünnen Armen, Beinen, Körper und riesigem Kopf zu finden? Perfekt! Denn dann hattest du als Kind schon die weise Einsicht erlangt, dass Gedanken die Welt lenken, aber man trotzdem mit beiden, wenn auch manchmal wackeligen Beinen, im Leben stehen muss.

Noch mehr Quatsch gefällig? Kein Problem, es gibt genug ernst gemeinte Beispiele:

Beispiel 1
Gartenfigur, läppische 5 Millionen Dollar (5.137.162 $)

Paul Klee - Gartenfigur (1932) - Öl auf Leinwand (81,5 x 61,3 cm)

Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Allein der Namen regt poetische Stimmung an, versteckte Tiefen kommen zum Vorschein, die auf künstlerischen Theorien beruhen. Hier wird die Natur sowohl als visuelles Modell, als auch als strukturierendes Konzept dargestellt. Der Mensch und die Natur sind eins. Es ist eine autonome Struktur mit eigener Physiognomie dargestellt. Und zuletzt natürlich eine Einladung an den Betrachter, den Künstler auf seiner kreativen Reise zu folgen. Wow, ich will gar nicht erst dran denken, was noch alles für versteckte Wunderdinge in dem Meisterwerk lägen, wenn Klee es 'Gartenzwerg' statt 'Gartenfigur' genannt hätte....

Was sieht der naive Laie?
Wovon reden die? Links vor einer kleinen Tür steht eine etwas zu groß aufgeblasene Papiertüte mit einem geschlossenen und einem offenen Auge, schiefem Mund nebst kleinem schwarzem Pickel. Mehr nicht.

Beispiel 2
Pflanze und Fenster Stilleben, 5 Millionen Dollar (5.010.500 $)

Paul Klee - Pflanze und Fenster Stillleben (1927) - Öl auf Leinwand (47,6 x 58,4 cm)

Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Der Mond und die Sonne spielen tänzelnd miteinander und die glühenden Farben der Pflanze umspielen zärtlich das dunkle Fenster, wobei diese wunderbaren, verwirrenden geraden Linien die beiden Hauptgegenstände des Bildes verbinden. Das Fenster, natürlich rein architektonisch betrachtet, komplementiert geschickt in seinem dunklen Ton den neutralen olivfarbigen Hintergrund. Oder, wie schon ein schlauer Mann über den Künstler sagte: "Das Ferne war für ihn immer am nächsten".

Was sieht der naive Laie?
Der gute Paul ist meinem Ratschlag gefolgt und hat einen Strichmännchen-Kopf eingebaut. Der Körper ist zwar etwas zu dick für die reine Lehre, aber an sich bringt ein Strichmännchen schon mal locker 2 Millionen Dollar extra. Nur mit dem verhunzten Fenster wäre ich als Häuslebauer unzufrieden und würde den Architekten verklagen. Das die Sonne direkt im Zimmer scheint, gefällt mir hingegen gut. Das spart Heizkosten.

Beispiel 3
Der Künftige, 3 Millionen Dollar (3.330.500 $)

Paul Klee - Der Künftige (1933) Öl auf Leinwand (61,1 x 49,5 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Natürlich ist dies Klees Antwort auf die Pseudo-Utopischen Ideologien der 30er Jahre und eine Parodie auf den Übermenschen. Beeindruckend gemalte flammende Hose und zombieartiger Blick zeugen von seinem beißendem Humor und tiefgründiger Gesellschaftskritik an den Zuständen seiner Zeit und dem Abgrund, der kommen wird.

Was sieht der naive Laie?
Schön, aber das hat nichts mit Kunst zu tun. Du könntest der feinfühligste, tiefsinnigste, liebenswürdigste Mensch der Welt sein und möchtest deine Abscheu an den Fehlentwicklungen unserer Zeit (oder deine Freude über die Schönheit in der Welt) mittels Musik zum Ausdruck bringen. Aber wenn du deiner Geige nur ein paar schräge, krächzende Töne entlocken kannst, ist das vielleicht aller Hochachtung wert, aber keine Kunst. Gleiches gilt für Malerei. Und von diesem Urteil ist auch Klee nicht ausgenommen. Nüchtern betrachtet sieht man ein paar verschachtelte Formen, Augen, dicke Nase, Mund und frei schwebende Gliedmaßen. Mit kräftigem Rot wurde nicht gespart, um damit den Blick von den anderen Bildern im Kindergarten auf diesen roten Übermenschen zu lenken.

Beispiel 4
Sollte Steigen, Fast 3 Millionen Dollar (2.827.050 $)

Paul Klee - Sollte Steigen (1932) Öl auf Leinwand (59,5 x 86,6 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Klee hatte ein Konzept. Respekt, denn Konzepte sind immer gut für den Preis und treiben ihn enorm in die Höhe. Sein Konzept bei diesem Bild ist das Aufsteigen, welches er durch Ballon und Pfeil darstellte. Ein wahrer Geniestreich des Meisters. Die nach oben strebenden Elemente stehen im Kontrast zu den eher anarchisch, instabilen Kräften der drachenförmigen Gebilde. Diese werden durch Gravitationskräfte, natürlich symbolisiert durch die Erdfarben, hin und her geschleudert und sind immer in der Gefahr, von den Urgewalten zermalmt zu werden.

Was sieht der naive Laie?
Ein paar ungeschickte gemalte Rundungen und Vierecke. Damit es nach schwerer Arbeit aussieht, pedantisch gerade Striche samt tiefgründigem Pfeil und angedeuteten Luftballon. Eine Kritzelei, die jeder von uns schon mal aus Langweile während des Unterrichts in seiner Schulzeit aufs Papier geschmiert hat. Vielleicht in bescheidenerem Format, aber immerhin.


Beispiel 5
Junger Garten (Rhythmen), 3 Millionen Dollar (3.152.000 $)

Paul Klee - Junger Garten (Rhythmen) (1927) Öl auf Leinwand (65 x 51,7 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Hier ist, wie immer beim allmächtigen Klee, die große poetische Qualität des Werks offensichtlich. Diese Muster evozieren eine mystische, unbekannte Bildsprache, die den ägyptische Hieroglyphen ähnelt. Und nicht nur das. Das zeichnerische Meisterwerk in der oberen Mitte des Bildes, welches an einen Tannenbaum erinnert, nimmt uns an die Hand und führt uns direkt in die Natur hinein. Welch geniales, seitdem nie mehr erreichtes Meisterwerk, konnte man hier für lächerliche 3 Mille erworben.

Was sieht der naive Laie?
Die Linien eines Notenblatts sind mit großem Eifer eigenhändig gezeichnet. Darauf ein bisschen Käsekästchen gespielt und den Rest fleißig mit weiteren geometrischen Mustern gepflastert, so dass kein Zentimeter des Blattes ungenutzt blieb.


Beispiel 6
Freundlicher Ort, gute 1 Million Dollar (1.670.530 $)

Paul Klee -  Freundlicher Ort (1919) Gouache und Aquarell (19,2 x 23,5 cm)
Was will uns der Kunstwerbefachmensch des Auktionshauses weismachen?
Dieses Bild verknüpft die beiden Hauptthemen, mit denen sich Klee zur damaligen Zeit beschäftigte. Garten und Architektur. Hierbei wird in hellen Farben ein harmonisches Nebeneinander von flachen, blockartig aufgebauten Quadraten erzeugt, welches sehr an seine früheren Darstellungen nordafrikanischer Architektur erinnert. Die rechteckigen Farbkleckse kennzeichnen Gebäude, während die länglichen Formen schlängelnde Pfade zwischen diesen darstellen. Umspielt ist das Ganze von grünen Pinselstrichen, welche ein Stück Natur in dieses fröhliche, verspielte Kunstwerk bringen.

Was sieht der naive Laie?
Mir fehlen die Worte. Er steht seinem Freund August Macke in nichts nach. Deren Tunesienreise von 1914 lässt heute noch jedes Kritikerherz höher schlagen. Was ich jedoch von diesen Orientaquarellen halte, kann man hier lesen. Das dort geschriebene passt hundertprozentig auch auf Klee und seine Bilder.


Abschluss
Also beeile dich, bevor das Glück der Klee-Blätter verbraucht ist!

Freitag, 31. Dezember 2010

Keine Basis

Unverrückbar
Jeder Mensch hat bestimmte Vorstellungen und Ansichten, an die er nicht mehr rütteln möchte. Zweifel waren früher, heute jedoch können die Anderen soviel reden wie sie wollen. Recht habe ich trotzdem. So oder ähnlich geht es jedem schon mal. Das ist natürlich keine wissenschaftliche Haltung, gehört aber zum Mensch-sein dazu. Alles immer und jeden Tag zu relativieren und überdenken, überspannt die knappe Zeit, die uns gegeben ist.

Kunst kommt von Können

Eine dieser Prämissen, die ich hege und pflege, ist die Ansicht, dass ein paar hingeworfene Striche oder Farbkleckse keine Kunst sind. Die angeblich wichtigen Gedanken des Malers sind meist reines Geschwätz, um von der dilettantischen Umsetzung abzulenken. Wenn ein ähnliches Werk von jedem Hobbymaler stammen könnte, dann ist es keine Kunst. Auch wenn der Maler theoretisch größere Fähigkeiten als die Masse der Amateure besitzt, zählt dies nicht für die Bewertung des konkreten Werks.

Fallbeispiel
Wobei wir beim Thema wären. Picasso. Er war aus künstlerischer Sicht ein etwas frühreifer, talentierter akademischer Maler, dessen erste Arbeiten den Werken unzähliger anderer Schüler der großen Akademien des 19. Jahrhunderts entsprachen. Nichts, wofür man in vergötterungswürdiger Anbetung verfallen sollte, aber auch nichts, um ihm sein Talent abzusprechen. Bekannt und als Genie gefeiert wurde er jedoch wegen seiner Fähigkeit, den neusten Trends seiner Zeit zu folgen und sie zu 'perfektionieren', wobei dieses Wort natürlich viel zu positiv ist. Denn vieles davon hat in meinen Augen nichts mit Kunst zu tun, weil ihnen alles dazu fehlt.

Genie, oder?
Darf man das wirklich so sehen, Picasso soll doch der Künstler schlechthin sein? Ich habe das den Fachleuten nie abgekauft. Aber vor kurzem bot sich die Gelegenheit, es doch nochmal genauer zu bedenken.

Überprüfung
Denn zeitgleich zu meinem Wien-Besuch fand in der Albertina eine Picasso-Ausstellung (Hinweis zum Link: dort waren früher viele Bilder der Ausstellung zu finden, jetzt nur noch drei) statt. Das war die Gelegenheit, dem angeblichen Kunstmessias des 20. Jahrhunderts über die Schulter zu schauen.
Picasso zieht die Massen an. Ich stehe bei klirrender Kälte vor dem Gebäude und komme, wie so viele andere, nicht rein. Überfüllt ist es an diesem Sonntag. Aber wir Harrenden wollen uns die Chance auf diese 'Meisterwerke' nicht entgehen lassen und warten und warten. Dann ist es soweit. Wir dürfen die heiligen Hallen betreten. Wie fast immer bei großen Ausstellung sind sie wunderbar eingerichtet und beleuchtet, und vorbereitet zum entspannten Kunstgenuss. Aufgrund der Zuschauermassen und dem hektischem Treiben kommt aber leider eher Bahnhofsstimmung auf. Aber was macht man nicht alles für die hohe Kunst...

Wo ist die Kunst?
Doch, wo war sie? Nichts, was Kunst ausmacht, war zu sehen. Ich schaue mir das erste Werk an, das zweite, das dritte. Nichts. Die Bilder werden bestimmt noch kommen, in die Gedanken und Arbeit eingeflossen sind. Entscheidungen wie geschickte Gesamtkomposition, Anzahl der Figuren, wo welcher Gegenstand platziert wird, schräg zu erblicken oder doch von vorne? Welche Haltung haben die Figuren, welche Gestik und Gesichtsausdruck? Welche Kleidung, welche Farbgebung und Beleuchtungsregie? Wie vermittle ich Stofflichkeit, Räumlichkeit und erzeuge Menschen aus Fleisch und Blut? Und so weiter und so fort.

30000 Mal keine Kunst
Doch nach meiner verzweifelten Suche musste ich feststellen: mit solchen Gedanken und Hindernissen bei der Umsetzung hat sich Picasso fast nie geplagt!
Die meisten der ausgestellten Werke wirken wie 5 Minuten Schnellschüsse auf 7. Klässler-Niveau. Davon hat Picasso wahrscheinlich 30000 ähnliche Werke im Jahr erzeugt. Austauschbar und ohne seine Unterschrift sind sie fast alle lächerlich. Wenn die Bilder deine Signatur hätten, würde niemand auch nur eine Minute in der Kälte dafür anstehen.

Helfende Hand?
Stopp! Ein letzter Anflug von Relativismus-Euphorie packte mich und ich schaute in die Gesichter der umstehenden Leute. Sehen sie etwas in den Bildern, was ich nicht sehe? Kennen sie den Weg zur Kunst und ich habe mich schon lange verlaufen? Fehlt mir die Vorstellungskraft, in den Bildern das Genie zu erblicken? Ich schaue mir die Dame links an, den Herrn dort, die Gruppe hinten. Aber nein, irgendwie wirken sie eher verzweifelt in ihrer Suche nach dem Genie in dieser Ausstellung. Manch einer wollte dies mit verschleierndem Geschwafel über die Bedeutung dieses und jenes Strichs vertuschen, aber so richtig gelang dies nicht.

Ende des Relativismus
Mir jedenfalls reichte es. Eines wusste ich genau. Es gibt keine Basis zwischen denjenigen, die in Picassos Werken große Kunst erkennen und mir. Warum sollte ich in einer Welt, in der wahre Kunst zum Greifen nah ist, mich mit solch nichts bietendem Müll aufhalten?

Wahre Männer
Raus aus dem Schuppen, rein ins Belvedere, um mich dort von der Welle älterer, kampfbereiter Männer, die aus Defreggers genialem Bild "Das letzte Aufgebot" marschieren, überwältigen zu lassen. Live wirkt es fantastisch, bei weitem besser als es das Vorschaubild des Belvedere vermuten lässt.

Franz von Defregger - Das letzte Aufgebot (1874)
Öl auf Leinwand (139 x 191 cm)